Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Deutscher Fürstenbund. 69 
das alte reichsständisch-theokratische Deutschland aufrecht zu halten. Doch 
wenn er dauerte, wenn Preußen seine Führerstelle an der Spitze der 
großen Reichsstände behauptete, so mußten die alten Formen des Reichs— 
rechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete sich die Aussicht, das öster— 
reichische System in seinen Grundlagen zu erschüttern, wie Graf Hertzberg 
freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutschen Stiftern aus— 
zuschließen, bei der nächsten Wahl die Kaiserkrone auf ein anderes Haus 
zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigsten 
Stände zu legen. Der junge Karl August von Weimar schlug bereits vor, 
jene alten Privilegien, welche dem Hause Oesterreich seine Sonderstellung 
sicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Fast schien es, 
als sollte das große Räthsel der deutschen Zukunft in Frieden gelöst werden. 
Aber der Fürstenbund konnte nicht dauern; und am wenigsten der nüchterne 
Sinn des alten Königs hat sich diese bittere Wahrheit verborgen. Nur 
eine Verkettung zufälliger Umstände, nur der Abfall Kaiser Joseph's von 
den altbewährten Ueberlieferungen der österreichischen Staatskunst hatte die 
kleinen Fürsten in Friedrich's Arme hinübergescheucht; ihr Vertrauen zu 
Preußen reichte nicht weiter als ihre Angst vor Oesterreich. Mit äußerstem 
Widerstreben fügte sich Kursachsen der Führung des jüngeren und minder 
vornehmen Hauses Brandenburg, kaum weniger mißtrauisch zeigte sich 
Hannover; selbst die ergebensten und schwächsten der verbündeten Stände, 
Weimar und Dessau, beriethen insgeheim, so erzählt uns Goethe, wie 
man sich decken könne gegen die Herrschaft des preußischen Beschützers. 
Sobald die Hofburg ihre begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte sich auch 
die alte natürliche Parteibildung wiederherstellen; die geistlichen Fürsten, 
die jetzt in Berlin Hilfe suchten, konnten in dem protestantischen Preußen 
nur den geschworenen Feind ihrer Herrschaft sehen. Weil Friedrich dies 
wußte, weil er mit seinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundes- 
genossen bis in Mark und Nieren schaute, darum ließ er auch durch den 
Erfolg des Tages sich nicht darüber täuschen, daß dieser neue schmal- 
kaldische Bund nur ein Nothbehelf war, nur ein Mittel zur Wahrung 
des augenblicklichen Gleichgewichts. Karl August entwarf in großherziger 
Schwärmerei kühne Pläne für den Ausbau der neuen Reichsassociation, 
er dachte an einen Zollverband, an Militär-Conventionen, an ein deutsches 
Gesetzbuch; Johannes Müller verherrlichte den Fürstenbund in schwülstigen 
Pamphleten, Schubart in schwungvollen lyrischen Ergüssen, und Dohm 
gelangte in einer geistreichen Flugschrift zu dem Schlusse: „Deutsches und 
preußisches Interesse können sich nie im Wege stehen.“ Den überlegenen 
Verstand des greisen Königs berührten solche Träume nicht; er wußte, 
daß nur ein ungeheurer Krieg die Herrschaft Oesterreichs im Reiche brechen 
konnte; ihm genügte, sie in den Schranken des Rechts zu halten, da er 
des Friedens für sein Land bedurfte. 
Für eine ernstliche Reform des Reichs fehlten noch immer alle Vor-
	        
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