F. Schlegel. Steffens. Ancillon. 115
Verfassungen forderte, aber nach seiner phantastischen Art „die Gemein-
schaft der Heiligen“ für die Idee des Staates erklärte und den Vorzug
des Adels in der „mystischen Tiefe aller irdischen Geburt“ begründet fand.
Den Patrioten klang es wie Hohn, wenn der vertrauensvolle Mann die
charakterlose Buntheit des zerrissenen deutschen Staatslebens geradezu als
einen Vorzug pries: jede Verfassung sei mangelhaft, erst die Vielheit der
Verfassungen gebe eine höhere geistige Einheit! Noch weniger vermochte
Ancillon die erbitterten Gemüter zu beschwichtigen. Seine zahlreichen
staatswissenschaftlichen Bücher blickten mit vornehmer Geringschätzung auf
die seichten Vergötterer des Zeitgeistes hernieder und offenbarten doch
eine Gedankenarmut, woneben Rottecks Wasserklarheit wie sprudelnde
Genialität erschien, dazu eine schillernde Unbestimmtheit des Ausdrucks und
der Ideen, die sich überall eine Hintertür offen hielt. Wenn er in tiefer
Untertänigkeit die Heilige Allianz als die Versöhnung von Politik und
Moral feierte oder mit salbungsvoller Breite bewies, zwischen beratenden
und beschließenden Landständen bestehe eigentlich kein Unterschied, dann
zürnten die Liberalen um so heftiger, da sie wußten, daß der behutsam
vermittelnde Schriftsteller am preußischen Hofe stets die Bestrebungen der
streng reaktionären Partei unterstützte. —
Noch bevor die siegreichen Heere heimkehrten, hatte ein an sich ge-
ringfügiger häßlicher Vorfall den Gegensatz der politischen Meinungen
krankhaft verschärft, das kaum erwachende Parteileben auf lange hinaus
vergiftet. Seit Jahren waren die napoleonischen Märchen von dem Tugend-
bunde und den jakobinischen Umtrieben der preußischen Patrioten in der
Hofburg wie in den rheinbündischen Kabinetten geschäftig umhergetragen
worden; auch die wohlmeinenden kleinen Höfe erschraken über die lärmende
terroristische Sprache der teutonischen Wortführer; alle Regierungen fühlten
sich unsicher, sie empfanden selber, wie wenig der Friedensschluß und die
Bundesakte den Wünschen der Nation genügen konnten. Auch in Preußen
begannen die alten Gegner Steins und des schlesischen Hauptquartiers
sich wieder zu rühren. Schon während des Wiener Kongresses verdächtigte
ein Hofrat Janke „das wilde Freiheitsgeschrei“" von Arndt und Görres
bei dem Staatskanzler. Als die Monarchen zum zweiten Male in Paris
versammelt waren, veröffentlichte der Berliner Professor Schmalz eine
Flugschrift: „Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen
Chronik vom Jahre 1808.“ Jene Stelle war schon vor Jahren auf Schmalzs
Verlangen von dem Herausgeber selbst berichtigt worden; Schmalz benutzte
nur den Vorwand um, anknüpfend an die Geschichte des alten Tugend-
bundes, von dem unterirdischen Treiben der geheimen Vereine, welche
„vielleicht" aus jenem Bunde hervorgegangen seien, ein unheimliches
Schreckensbild zu entwerfen. Er war ein Schwager Scharnhorsts, hatte
mit dem General stets in gutem Einvernehmen gelebt, in der Zeit der
französischen Herrschaft seinen patriotischen Mut bewährt, auch an der
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