Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

120 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages. 
Der wilde Kampf der französischen Parteien erregte in der Gesandten- 
konferenz um so schwerere Besorgnis, da das reiche Land sich von seinen 
wirtschaftlichen Leiden wunderbar schnell erholte und bald wieder zu 
einem neuen Kriege fähig schien. Frankreich zerfiel, so sagte die unver- 
söhnliche Opposition, in zwei Völker, die Sieger und die Besiegten von 
Waterloo. Wo war noch ein gemeinsamer Boden für die demokratischen 
Massen, denen die Glorie der weltbeherrschenden Trikolore das Hirn be- 
rauschte, und für die Emigranten, diese „Pilger des Grabes“, die von 
der Oriflamme und dem heiligen Ludwig träumten? Höhnend hielt 
Beranger dem alten Adel das Bild des Marquis von Carabas entgegen; 
sein Spottlied c’est le roi, le roi, 1e roi gab das Königtum der Ver- 
achtung preis. Das ganze Land war von einem Netze geheimer Gesell- 
schaften überspannt; jeder Veteran der großen Armee, der in sein heimat- 
liches Dorf zurückkehrte, predigte die napoleonische Legende. Auch die 
geistreichen Doktrinäre, die in der Minerva ihre liberalen Anschauungen 
aussprachen, untergruben das Ansehen der Krone durch gehässiges Miß- 
trauen. Gefährlicher als die Leidenschaften der Opposition erschien jedoch 
vorerst die fanatische Verblendung der royalistischen Ultras, welche die 
Kammer der Abgeordneten beherrschten. Die Heißsporne der Chambre 
introuvable strebten geradeswegs zurück zu der alten feudalen Gesellschafts- 
ordnung, sie verlangten blutige Rache an den Königsmördern und den 
Gottesmördern. Als König Ludwig den wilden Eifer der Emigranten zu 
mäßigen versuchte, wendeten sie sich gegen das Ansehen der Krone selber, ganz 
so trotzig wie jene polnischen Magnaten, die einst ihrem König Sigismund 
zuriefen: rege sed non impera! Die altständischen Ideen der zügellosen 
Adelslibertät tauchten wieder auf und schmückten sich mit den Schlagwörtern 
der neuen parlamentarischen Doktrin. Im Namen der konstitutionellen Frei- 
heit forderte Chateaubriand die Unterwerfung der Krone unter den Willen 
der Kammern und verfocht in seinen Schriften bereits jene radikale Theorie 
des Parlamentarismus, welche späterhin die Liberalen sich aneigneten und 
zu dem Satze le roi régne mais il ne gouverne pas zuspitzten. 
Sämtliche Mitglieder der Gesandtenkonferenz, Pozzo di Borgo voran, 
unterstützten den König in seinem Widerstande gegen die Ultras. Sogar 
die hochkonservativen englischen Staatsmänner mißbilligten die Parteiwut 
der Emigranten, obgleich ihnen der liberale Eifer des „jakobinischen“ Zaren 
und seines vordringlichen Gesandten immer verdächtig blieb. Wenn Wel- 
lington das törichte Treiben der Ultras betrachtete, die sich im Pavillon 
Marsan bei dem Grafen von Artois ihre Weisungen holten, dann meinte 
  
wird in den Briefen nicht ausdrücklich angegeben; er kann aber kaum ein anderer sein 
als der im Text angeführte. Denn am 9. Novbr. berichtet Royer: nunmehr müsse König 
Friedrich Wilhelm in das Geheimnis eingeweiht werden, von dessen Entscheidung hänge 
jetzt Alles ab; und wenige Tage später verschwindet die ganze Angelegenheit aus dem 
Briefwechsel
	        
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