122 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
reich und Spanien, in Italien und der Türkei meinte er den geheimen
Umtrieben russischer Agenten auf der Spur zu sein.) Und diese ruhelos
ehrgeizige Politik segelte unter der liberalen Flagge dahin! Die russi-
schen Gesandten sprachen sich an allen Höfen für ein System „weiser
Freiheit“ aus, während die englischen ebenso eifrig vor dem „gefährlichen
Unsinn“ liberaler Verfassungsversuche warnten. In seinem Polen ließ
Alexander schon zu Weihnachten 1815 eine Verfassung verkündigen. Ob-
gleich dies Grundgesetz an dem Krebsschaden der polnischen Zustände, an
der Unfreiheit des Landvolks nichts Wesentliches änderte und alle politische
Macht in die Hände des Adels legte, so übte doch der Name Konstitution
seinen mächtigen Zauber; triumphierend begrüßte der urteilslose Libera-
lismus das Gnadengeschenk des Kaisers und fragte ungeduldig: wann
endlich würden Deutschlands Fürsten dem Beispiele des aufgeklärten Selbst-
herrschers folgen, der insgeheim schon eine Charte für Rußland selbst vor-
bereitete? Von den beiden Staatsmännern, welche der Zar in den aus-
wärtigen Geschäften zu Rate zog, blieb der unbedeutende Nesselrode seinem
Freunde Metternich treu ergeben; um so verdächtiger erschien dem Wiener
Hofe der liberale Philhellene Kapodistrias. Der österreichische General
Steigentesch befand sich zu Petersburg bald in ebenso peinlicher Lage wie
der russische Gesandte Stackelberg zu Wien. Caveat consul! hieß es be-
ständig in Stackelbergs Berichten; in erregten Worten warnte er seinen
kaiserlichen Herrn vor der Tücke „dieses Wiener Dalai-Lamas“. Der ge-
heime Vertrag vom 3. Januar 1815 blieb in Petersburg unvergessen, und
alle russischen Staatsmänner schrieben dem Fürsten Metternich die Haupt-
schuld daran zu.
Das tiefe Mißtrauen des Tory-Kabinetts gegen den Zaren verriet
sich deutlich in einem Vorschlage, welchen Lord Cathcart im August 1816
dem Petersburger Hofe überreichte: eine Konferenz von Offizieren sollte
zusammentreten um über die gleichzeitige Abrüstung aller Mächte zu be-
raten und jedem Staate die Stärke seines Friedensheeres vorzuschreiben.
Unverkennbar richtete dieser friedfertige Antrag seine Spitze gegen die rus-
sischen Rüstungen. Darum ging Metternich mit Eifer auf den Gedanken
ein und erwiderte — mit freundlichem Seitenblick auf die preußische Armee:
die Verminderung der Heere sei besonders wünschenswert in einer Zeit,
„wo die Revolutionäre selbst sich mit der militärischen Maske bedecken“.
Kaiser Alexander gab eine freundliche aber unklare Antwort. Der eng-
lische Vorschlag blieb liegen, da man bald fühlte, daß eine so unnatür-
liche Beschränkung des wichtigsten Hoheitsrechtes selbständiger Staaten sich
im Ernst nicht durchsetzen ließ; zumal Preußen konnte den Bestand seines
volkstümlichen Heerwesens nimmermehr dem Belieben übermächtiger Nach-
*) Krusemarks Berichte v. 24. Febr. 1816, 1. Febr. und 23. März 1817, 7. März
und 9. April 1818.