Literatur und Politik. 15
als einen Vorkämpfer der Freiheit gegen die tenebriones, die Dunkel-
männer in Staat und Kirche. Auch die rein politischen Parteien, deren
schwache Anfänge sich endlich bildeten, gingen geradeswegs aus dem litera-
rischen Leben hervor. Das unmittelbare Eingreifen der politischen Theorie
in die Geschicke der Staaten, das die moderne Geschichte so auffällig von
den naiveren Zeiten des Altertums und des Mittelalters unterscheidet,
zeigte sich nirgends stärker als hier in dem Lande der Gelehrsamkeit. Nicht
aus den Klasseninteressen eines reichen und selbstbewußten Bürgertums
entsprang der deutsche Liberalismus, sondern aus den Schulbegriffen der
Gelehrten. Mit jener unbestimmten historischen Sehnsucht nach den gro-
ßen Tagen des alten Kaisertums, die zur Zeit der Fremdherrschaft zu-
erst in den literarischen Kreisen entstanden war, vermischten sich allmählich
die Lehren der neuen Philosophie über das natürliche Recht der freien
Persönlichkeit, sodann einige Sätze aus Montesquien und Rousseau, end-
lich auch ein gutes Teil unbewußter gelehrter Standesvorurteile. So
entstand ein System von vernunftrechtlichen Begriffen, welche unser Volk
durch die Freiheit zu seiner alten Macht emporführen sollten. Die Doktrin
trat sogleich, in Rottecks Schriften, fertig ausgearbeitet hervor wie das
Lehrgebäude eines Philosophen und erhob auch wie ein philosophisches
System den Anspruch, sich in der Welt durchzusetzen durch die Macht der
Gründe, der theoretischen Unwiderleglichkeit. Der Sturz des napoleoni-
schen Weltreichs — daran bestand unter den literarischen Politikern kein
Zweifel — war allein gelungen durch die Macht der Ideen, die, in den
Kreisen der Wissenden geboren, dann das Volk ergriffen und endlich selbst
die widerstrebenden Kronen mit fortgerissen hatten zum heiligen Kampfe.
So schien auch Deutschlands innere Befreiung wohlgesichert, wenn sich
nur alle Patrioten die Heilswahrheiten der neuen konstitutionellen Doktrin
ganz zu eigen machten und an diesem Bekenntnis mit der Überzeugungs-
treue des Gelehrten oder des kirchlichen Märtyrers unerschütterlich fest-
hielten. Daß der Staat Macht ist und der Welt des Willens angehört,
blieb diesem Geschlechte wohlmeinender Gelehrter noch ganz verborgen.
Erst nach Jahrzehnten voll schwerer Verirrungen und Enttäuschungen sollte
das deutsche Parteileben der Wiege der Doktrin entwachsen und von der
Politik des Bekenntnisses sich erheben zu der Politik der Tat.
In den romanischen Ländern hatte die Poesie überall, wenn sie sich
einmal zu klassischer Vollendung erhob, dem Geiste der Nation auf lange
hinaus Form und Richtung gegeben. Der unbändige Trotz der Deut-
schen wollte sich selbst während der goldenen Tage von Weimar niemals
der Herrschaft einer Regel beugen; noch als Schiller und Goethe auf der
Höhe ihres Schaffens standen, begann die Romantik bereits den Sturm-
lauf gegen das klassische Ideal. Während der Befreiungskriege verstummte
der literarische Kampf; die Sorge um das Vaterland drängte alle anderen
Gedanken zurück; die wenigen Schriften, die sich in der wilden Zeit heraus-