Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Das neue Königreich Württemberg. 305 
wenige Meilen weit in das fränkische Land hinein; das ganze schwäbische 
Alpenland, der schöne Allgau, kam an Bayern, desgleichen Augsburg, die 
größte und ruhmreichste aller schwäbischen Städte. Aber auf diesem engen 
Raume begegneten sich die schärfsten politischen, kirchlichen, wirtschaft— 
lichen Gegensätze. Zu dem harten asketischen Luthertum Altwürttem— 
bergs trat der weltlich heitere Katholizismus Oberschwabens mit seiner 
josephinischen Aufklärung hinzu; zu der Kleinwirtschaft der Neckar- und 
Remslande die großen adligen Güter und die geschlossenen Bauernhöfe 
des Schussentals; zu dem bürgerlichen Herrenstande des Herzogtums eine 
dichte Schar von Fürsten, Grafen und Reichsrittern — und mindestens 
im Hohenlohischen bewahrte das Volk seinem wohlwollenden alten Fürsten— 
geschlechte ein starkes Gefühl dynastischer Treue. Die Vorderösterreicher 
betrachteten den Eintritt in den Kleinstaat von Haus aus als eine Demü— 
tigung, auch die geistlichen Gebiete hielten fest zu dem Kaiserhause, dem 
alten Gegner der württembergischen Protestanten. Unter den Reichs— 
städten besaß nur noch Heilbronn ein kräftiges bürgerliches Leben, selbst 
das reiche Ulm war verarmt und verdumpft; aber alle bis auf Bop— 
fingen und Aalen herab, empfanden bitter den Verlust der alten Frei— 
heit, am bittersten wohl die demokratischen Reutlinger, die noch auf ihrem 
Rathause die alten Siegeszeichen aus den Fehden gegen die Württem— 
berger Grafen bewahrten. 
Ein Verkehr zwischen den alten und den neuen Landesteilen hatte 
bisher kaum bestanden; man kannte einander fast nur aus dem land— 
läufigen freundnachbarlichen Spottgerede. Offene Widersetzlichkeit wagte 
sich nicht mehr heraus seit die unglückseligen Mergentheimer ihren Auf— 
standsversuch blutig gebüßt hatten. Aber grollend mieden die Unterworfenen 
den Umgang mit den königlichen Beamten, selbst auf der Universität lebten 
die neuen Landsmannschaften der Ulmer und der Hohenloher in ewigen 
Raufhändeln mit den Altwürttembergern. Diese bunte kleine Welt in 
die bürgerlich-protestantische Verfassung des alten Herzogtums aufzu— 
nehmen war eine offenbare politische Unmöglichkeit und auch rechtlich nicht 
geboten; denn ein großer Teil der neuen Erwerbungen galt als Ersatz 
für Mömpelgard, das im Stuttgarter Landtage niemals vertreten war. 
Einige Jahre lang begnügte man sich mit einem Notbehelf und behandelte 
das neue Gebiet, das mit dem alten überall im Gemenge lag, als einen 
selbständigen Staat; das stille Pfaffenstädtchen Ellwangen wurde die Haupt— 
stadt dieses wunderbaren Reiches Neu-Württemberg, weil die Behörden 
dort in den stattlichen Palästen der alten Pröpste ein bequemes Unter— 
kommen fanden. Auf die Dauer ließ sich die unnatürliche Trennung der 
beiden Landeshälften nicht halten, ihre Vereinigung aber blieb undurch— 
führbar so lange die Verfassung Altwürttembergs bestand. 
Jener Staatsstreich vom 30. Dez. 1805, der das gute alte Recht be- 
seitigte, entsprang nicht bloß der Herrschsucht eines übermütigen Tyrannen, 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 20
	        
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