Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Universität Jena. 411 
Der alte Goethe fühlte sich wie in der verkehrten Welt, als sein 
friedlicher Musensitz sich so plötzlich in ein lärmendes Forum verwandelte, 
und die akademischen Publizisten in der Presse gleichsam als die Erben 
der Dichter-Dioskuren gefeiert wurden. Er ahnte schlimme Folgen und 
warnte Luden: wir verfügen nicht über 100,000 Bajonette um Euch zu 
beschützen! Als die Regierung sodann mit einer Verwarnung gegen Oken 
vorgehen wollte, da riet Goethe dem Herzog ab: solche Ermahnungen 
seien nutzlos und, einem so verdienten Manne gegenüber, unziemlich; 
besser daher — so fuhr er mit souveräner Geringschätzung der neuen Ver- 
fassung fort — man lasse den gelehrten Hitzkopf ganz aus dem Spiele 
und verbiete einfach dem Drucker die Fortsetzung des „katilinarischen“ 
Unternehmens. So ernst wollte der herzhafte Karl August die politischen 
Saturnalien seiner Gelehrten doch nicht nehmen. Er ließ es bei einigen 
gelegentlichen Warnungen und Beschlagnahmen bewenden; aber auch er 
sah immer mit Unmut einer „neuen Niederkunft Monsieur Okens“" ent- 
gegen, denn die Beschwerden der in der Isis Mißhandelten nahmen kein 
Ende. Am lautesten klagte Geh. Rat von Kamptz in Berlin, ein ausge- 
zeichneter Jurist und brauchbarer Beamter, allbekannt als fanatischer Re- 
aktionär. Der wurde von Oken zu den „abgedroschenen Leuten“ gerechnet 
und verwahrte sich drohend wider diesen „Blauen-Montags-Ton". Wer 
den harten Mann kannte, mußte wissen, daß er sich mit Worten nicht 
begnügen würde. — 
Wie konnte die akademische Jugend ruhig bleiben in dieser wunder- 
lich erregten kleinen Welt? Die großen Tage der Jenenser Hochschule 
waren schon um das Jahr 1803 zu Ende gegangen, mit den wissenschaft- 
lichen Kräften von Heidelberg oder Berlin vermochte sie sich längst nicht 
mehr zu vergleichen; doch der Glanz jener reichen Zeit haftete noch an 
ihrem Namen und von jeher stand die ungebundene Freiheit ihres Stu- 
dentenlebens bei der deutschen Jugend in gutem Rufe. „Und in Jene lebt 
sich's bene“ sagt ein altes Studentenlied. In keiner anderen Universitäts- 
stadt herrschte der Student so unumschränkt; noch in den neunziger Jahren 
war das junge Volk einmal in hellen Haufen ausgezogen um nötigen- 
falls nach Erfurt überzusiedeln, und erst als ihm die geängsteten Behör- 
den alle seine Wünsche erfüllten, triumphierend zurückgekehrt. In scharfem 
Gegensatze zu dem galanten Leipzig behielt das Jenenser Leben immer 
einen derben, naturwüchsigen, jugendlichen Ton, der den einfachen Sitten 
des Landes entsprach. Wie der Ziegenhainer Knotenstock, damals noch 
der unzertrennliche Begleiter des deutschen Studenten, nur im Saaletal 
echt zu finden war, so stand auch der reichhaltige Jenenser Komment auf 
allen Kneipen und Fechtböden Deutschlands in hohem Ansehen; manche 
uralte Burschenbräuche, wie das Blutbrüderschaft-Trinken, erhielten sich 
hier noch bis in das neue Jahrhundert hinein. Trotz aller Roheit lag 
doch ein idealistischer Hauch über dem lauten Treiben, ein romantischer
	        
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