Universität Jena. 411
Der alte Goethe fühlte sich wie in der verkehrten Welt, als sein
friedlicher Musensitz sich so plötzlich in ein lärmendes Forum verwandelte,
und die akademischen Publizisten in der Presse gleichsam als die Erben
der Dichter-Dioskuren gefeiert wurden. Er ahnte schlimme Folgen und
warnte Luden: wir verfügen nicht über 100,000 Bajonette um Euch zu
beschützen! Als die Regierung sodann mit einer Verwarnung gegen Oken
vorgehen wollte, da riet Goethe dem Herzog ab: solche Ermahnungen
seien nutzlos und, einem so verdienten Manne gegenüber, unziemlich;
besser daher — so fuhr er mit souveräner Geringschätzung der neuen Ver-
fassung fort — man lasse den gelehrten Hitzkopf ganz aus dem Spiele
und verbiete einfach dem Drucker die Fortsetzung des „katilinarischen“
Unternehmens. So ernst wollte der herzhafte Karl August die politischen
Saturnalien seiner Gelehrten doch nicht nehmen. Er ließ es bei einigen
gelegentlichen Warnungen und Beschlagnahmen bewenden; aber auch er
sah immer mit Unmut einer „neuen Niederkunft Monsieur Okens“" ent-
gegen, denn die Beschwerden der in der Isis Mißhandelten nahmen kein
Ende. Am lautesten klagte Geh. Rat von Kamptz in Berlin, ein ausge-
zeichneter Jurist und brauchbarer Beamter, allbekannt als fanatischer Re-
aktionär. Der wurde von Oken zu den „abgedroschenen Leuten“ gerechnet
und verwahrte sich drohend wider diesen „Blauen-Montags-Ton". Wer
den harten Mann kannte, mußte wissen, daß er sich mit Worten nicht
begnügen würde. —
Wie konnte die akademische Jugend ruhig bleiben in dieser wunder-
lich erregten kleinen Welt? Die großen Tage der Jenenser Hochschule
waren schon um das Jahr 1803 zu Ende gegangen, mit den wissenschaft-
lichen Kräften von Heidelberg oder Berlin vermochte sie sich längst nicht
mehr zu vergleichen; doch der Glanz jener reichen Zeit haftete noch an
ihrem Namen und von jeher stand die ungebundene Freiheit ihres Stu-
dentenlebens bei der deutschen Jugend in gutem Rufe. „Und in Jene lebt
sich's bene“ sagt ein altes Studentenlied. In keiner anderen Universitäts-
stadt herrschte der Student so unumschränkt; noch in den neunziger Jahren
war das junge Volk einmal in hellen Haufen ausgezogen um nötigen-
falls nach Erfurt überzusiedeln, und erst als ihm die geängsteten Behör-
den alle seine Wünsche erfüllten, triumphierend zurückgekehrt. In scharfem
Gegensatze zu dem galanten Leipzig behielt das Jenenser Leben immer
einen derben, naturwüchsigen, jugendlichen Ton, der den einfachen Sitten
des Landes entsprach. Wie der Ziegenhainer Knotenstock, damals noch
der unzertrennliche Begleiter des deutschen Studenten, nur im Saaletal
echt zu finden war, so stand auch der reichhaltige Jenenser Komment auf
allen Kneipen und Fechtböden Deutschlands in hohem Ansehen; manche
uralte Burschenbräuche, wie das Blutbrüderschaft-Trinken, erhielten sich
hier noch bis in das neue Jahrhundert hinein. Trotz aller Roheit lag
doch ein idealistischer Hauch über dem lauten Treiben, ein romantischer