524 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
satz)). Als er nachher in Mannheim mit dem Mörder konfrontiert wurde,
versuchte er bei einer bedenklichen Frage eine jedem Kriminalisten wohl-
bekannte List: er klagte wieder über die Schwäche seines Gedächtnisses und
bat den Freund, ihm zunächst den ganzen Hergang genau zu berichten,
dann würde ihm wohl selber das Vergessene wieder einfallen. Die Unter-
suchungskommission ging wirklich in die plumpe Falle, sie erlaubte dem
Angeklagten sein Märchen ausführlich zu erzählen, und nunmehr wurden
auch in Follens Gedächtnis die erloschenen Erinnerungen plötzlich wieder
lebendig, und er erklärte, Sands Darstellung möge wohl richtig sein.
Der Vater und der Bruder des Angeklagten verweigerten ihr Zeugnis,
desgleichen die verblendete Mutter, die ihren Sohn „den reinen, großen
Märtyrer“ mit Martin Luther verglich"*); und da man in Baden von
den Parteibildungen innerhalb der Jenenser Burschenschaft nichts wußte,
so wurde aus Follens engerem Kreise nur noch einer, R. Wesselhöft ver-
nommen, auch er ein kluger und vorsichtiger junger Mann. Unter solchen
Umständen konnte die Untersuchung ihren Zweck allerdings nicht voll-
ständig erreichen, wie der Vorsitzende der Kommission, Staatsrat von
Hohnhorst in seinem sofort veröffentlichten Berichte zugestand. Die Mit-
wisser blieben unentdeckt.
Die Kunde von der Bestrafung des Mannheimer Spottbuben ward
in den Kreisen der Unbedingten mit unverhohlener Freude aufgenommen.
Die jungen Leute waren fieberisch aufgeregt und berieten sich insgeheim
über neue Tollheiten; jetzt war es an der Zeit, die Mahnung von Karl
Follens Bundeslied zu erfüllen:
Nieder reißt der Bosheit Damm,
Der Gewaltherrn ganzen Stamm!
Doch immer wenn ein bestimmter Vorschlag auftauchte, regte sich auch
die Stimme des Gewissens. Karl Follen riet seinen Jenenser Freunden
in hellen Haufen nach Mannheim zu ziehen, die Stadt anzuzünden und
den gefangenen Märtyrer zu befreien; aber die Mehrheit widersprach.
Zu Pfingsten kamen Burschen aus Jena, Gießen, Göttingen in Fritzlar
und auf dem Brocken zusammen, um über einen zweiten Gewaltstreich zu
verhandeln. Man ward nicht einig. Die besseren, wie Heinrich Leo,
waren der wüsten Frechheit müde und zogen sich angeekelt zurück. Auch
den Rohen fsiel jetzt, nachdem der erste Rausch der Schadenfreude ver-
flogen, die kopflose Torheit der Untat Sands schwer auf das Herz;
sie sahen, wie die Regierungen sich zur Abwehr rüsteten, wie die Bur-
schenschaft selbst mit dem Untergange bedroht war; der alte Ubermut
wich einer tiefen Entmutigung.
Nur in Gießen, der Hochburg der Schwarzen, erloschen die Flammen
der revolutionären Leidenschaft so schnell nicht. Dort führte Paul Follen,
*) Protokolle der Großh. sächs. Unters.-Kommission, 2. Apr. 3. 11. Mai 1819.
*?) Brief von Frau Sand an K. Follen, am 11. Mai 1819 bei Follen gefunden.