Thibaut. Hugo. 59
Naturrechts durch die Rechtsphilosophen des alten Jahrhunderts längst
festgestelltt wenn sich nur ein weiser, tatkräftiger Gesetzgeber fand so
konnte es nicht schwer halten diese Ideen auf Deutschland anzuwenden.
Von solchen Anschauungen war die öffentliche Meinung beherrscht, als
Thibaut, der berühmte Lehrer der Pandekten zu Heidelberg, in einer
kleinen Schrift voll patriotischer Wärme die heillosen Folgen der bestehen-
den Zersplitterung und „die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen
Rechts für Deutschland“ darlegte; das Gesetzbuch des künftigen deutschen
Rechts dachte der geistreiche Mann wie einen Staatsvertrag unter die Ge-
samtbürgschaft der verbündeten Mächte zu stellen. Fast die gesamte
patriotische Presse erklärte sich einverstanden.
Da erschien im Herbst 1814 die Gegenschrift Karl Friedrich von Sa-
vignys „über den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung“, das wissenschaft-
liche Programm der historischen Rechtsschule. Sie wirkte um so mächtiger,
da auch die Gegner insgeheim fühlten, daß hier nicht bloß die Meinung
eines Mannes zu Tage kam, sondern das wohlgesicherte Ergebnis jener
tieferen und freieren Auffassung des Staatslebens, welche einst in Her-
ders und Mösers genialen Ahnungen, in Gentzs und Wilhelm Hum-
boldts antirevolutionären Jugendschriften sich zuerst angekündigt, nachher
durch Niebuhr und Eichhorn ihre wissenschaftliche Durchbildung, in den
Gesetzen Steins und Scharnhorsts ihre praktische Bewährung gefunden
hatte. Unter den Lehrern des Zivilrechts war zuerst der Göttinger Gustav
Hugo den Doktrinen des alten Jahrhunderts entschlossen entgegengetreten.
Sein scharfer Verstand konnte sich bei dem unlösbaren Dualismus der
Naturrechtslehre nicht beruhigen, er erkannte als undenkbar, daß ein un-
wandelbares natürliches Recht dem beweglichen positiven Rechte gegenüber-
stehen sollte. Daher wies er Recht und Staat als Erscheinungen der
historischen Welt kurzerhand aus dem Gebiete der Spekulation hinaus
und stellte der Rechtslehre die Aufgabe, das positive Recht in seinem
Werdegange bis zu seinen letzten Wurzeln hinauf zu verfolgen und also
historisch zu verstehen. Gestützt auf eine gründliche Quellenforschung,
welche der erstarrten deutschen Rechtswissenschaft längst abhanden gekom-
men war, begann er zunächst die Entwicklung der römischen Rechtsge-
schichte darzulegen und gelangte bereits zu der Einsicht, daß die vielbe-
klagte Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland nicht als Zufall
oder Verwirrung, sondern als eine nationale Tat des deutschen Geistes,
als ein natürliches Ergebnis der Kultur der deutschen Renaissance be-
trachtet werden müsse. Die tiefere Frage: warum die Gestaltung des
positiven Rechts so mannigfaltig und doch so beweglich sei? wurde von dem
Kantianer Hugo noch nicht aufgeworfen.
Hier setzte Savigny ein, der den weiteren Gesichtskreis der roman-
tischen Geschichtsphilosophie beherrschte, und bewies mit seiner überlegenen
Ruhe, die das Dunkelste durchsichtig erscheinen ließ: die Entwicklung des