Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

108 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. 
könne.“) Historischer Sinn und bureaukratische Schablone geriethen hart 
an einander. Die Mehrheit aber half sich über alle Bedenken hinweg mit 
dem doktrinären, selbst theoretisch anfechtbaren Satze: die Gemeinde sei der 
Mikrokosmus des Staates und könne darum wie dieser nur eine gleich— 
mäßige Verfassung erhalten. Ebenso doktrinär war die weitere Behauptung, 
daß der Unterschied der Bildung zwischen den einzelnen Provinzen gar 
nicht so groß sei — als ob die Gemeindeverfassung durch die Bildung 
und nicht vielmehr durch die wirthschaftlichen Machtverhältnisse bedingt 
würde. Darum beschloß die Mehrheit, eine einzige Landgemeindeordnung 
für den ganzen Staat auszuarbeiten, obgleich sie selber eingestehen mußte, 
daß dies allgemeine Gesetz unvollständig sei und der Ergänzungen durch 
Provinzialgesetze bedürfe. Durch diesen schweren Mißgriff ward die Grund— 
lage des Hardenbergischen Verfassungsplanes unrettbar verdorben, außer 
dem Kastengeiste der Privilegirten auch der berechtigte Particularismus 
der Provinzen zu erbittertem Kampfe herausgefordert. — 
Im Einzelnen enthielten die Entwürfe, wie von so tüchtigen Beamten 
zu erwarten war, manchen trefflichen Gedanken. Die Commission erkannte 
den im deutschen Leben so tief begründeten Gegensatz von Stadt und Land 
als eine gegebene Thatsache an, sie wollte dem Bauern Alles was ihn 
angehe in einem Gesetze handlich beisammen bieten und verwarf daher 
den Vorschlag, Dorf und Stadt nach französischer Weise in einen Rahmen 
zu zwängen, obgleich mehrere Regierungen der westlichen Provinzen sich 
lebhaft dafür verwendet hatten. Der Entwurf der Landgemeindeordnung 
nahm den Fortbestand der vorhandenen Einzelgemeinden als Regel an, 
gestattete jedoch benachbarten kleinen Ortschaften sich durch freie Ueberein— 
kunft zu einer größeren Gemeinde zusammenzuthun und sprach die naive 
Erwartung aus, diese Erlaubniß werde häufig benutzt werden, sobald nur 
erst „die allgemeine Repräsentation des Staates“ den Gemeingeist geweckt 
habe. Vor dem Frühlingshauche des constitutionellen Staatslebens sollte 
also das dicke Eis des bäuerlichen Particularismus von selbst zerschmelzen! 
Die rheinischen Bürgermeistereien fielen damit hinweg; indeß ward den 
Regierungen gestattet für die besonderen Zwecke des Wegebaues, des Schul- 
wesens, der Armenpflege u. s. w. Sammtgemeinden zu bilden und hierzu 
auch die Bürgermeistereien zu benutzen. In jeder Gemeinde ein frei— 
gewählter, vom Landrathe bestätigter Schulze mit Schöppen und eine 
Gemeindeversammlung, die aus allen Gemeindebürgern, in größeren Ort— 
schaften aus Repräsentanten bestehen soll; das Gemeindebürgerrecht sehr 
weit ausgedehnt, so daß es der Regel nach keinem selbständigen Hausvater, 
wenn er nicht Knecht oder Tagelöhner ist, versagt werden darf. 
Behutsamer lauteten die Vorschläge über die Grundherrschaft. Die 
Commission wagte nicht, die Aufhebung der gutsherrlichen Polizei grades— 
  
*) Vincke, Separatvotum zur Landgemeindeordnung (Beilage zu den Entwürfen).
	        
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