Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

112 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. 
aber, die er nicht mehr hatte neugestalten können, blieb noch während eines 
halben Jahrhunderts der Spielball wechselnder gesetzgeberischer Versuche; 
nichts stand hier fest, nicht einmal die leitenden Grundsätze. 
Durch das Gensdarmerie-Edikt hatte Hardenberg die Selbstverwaltung 
der Kreise fast gänzlich zu zerstören versucht; und nunmehr, nachdem dieser 
Mißgriff zurückgenommen war, begnügten sich Friese und seine Commission, 
die Bildung von Kreisversammlungen vorzuschlagen, welche über Kreis— 
angelegenheiten berathen, Mißbräuche und Mängel rügen, die Landes- 
abgaben vertheilen und über gemeinnützige Anstalten beschließen, aber sich 
jeder Einmischung in die Kreisverwaltung unbedingt enthalten sollten. 
Ein solcher Kreistag ohne eigene verantwortliche Thätigkeit stand neben 
dem allein handelnden Landrath ebenso machtlos wie der französische 
Generalrath neben dem Präfekten. Und ganz nach französischer Weise 
sollte auch der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter sein. Bis- 
her, so führte die Commission aus, habe Preußen noch „keine wirklichen 
Volksvertreter" gekannt und daher den Landräthen etwas von den Rechten 
einer Volksvertretung eingeräumt; jetzt aber, da die Regierung durch die 
Verfassung „einen Theil der ihr bisher zugestandenen Gesammtgewalt 
weggiebt“, muß sie, nach dem Vorbilde aller anderen Verfassungsstaaten, 
ihre Beamten allein ernennen. Demnach darf der Landrath auch nicht 
mehr den Vorsitz im Kreistage führen, sondern nur ohne Stimmrecht den 
Verhandlungen beiwohnen. Die scharfe Trennung von Aktion und Be- 
rathung, der Grundgedanke des napoleonischen Verwaltungsrechts, sollte 
also mit allen ihren Consequenzen nach Preußen hinübergenommen werden; 
der Landrath war Alles, der Kreisversammlung blieb nur die Berathung. 
Damit ward die lebendige Selbstverwaltung aufgegeben, und was 
frommte es noch, daß die Zusammensetzung dieser ohnmächtigen Kreistage 
allen Wünschen des Liberalismus entsprach? Neben der Grundherrschaft 
hielt der Adel des Ostens keines seiner Standesrechte so hoch wie die alte 
Kreisstandschaft. Er hatte es schon schwer genug verwunden, daß jetzt 
auch Bürgerliche in die Ritterschaft eintraten; seine Virilstimmen auf den 
Kreistagen wollte er sich aber nimmermehr nehmen lassen, darüber waren 
alle Grundherren einig, in den alten Provinzen, in Sachsen und Vor- 
pommern. Gegen dies alte Recht der Ritterschaft führte nun die Com- 
mission einen verwegenen Schlag. Sie beseitigte die Virilstimmen der 
Ritterschaft und gewährte den Großgrundbesitzern nur das Recht, ein 
Drittel der Kreisverordneten zu wählen. Die übrigen zwei Drittel sollten 
von sämmtlichen Gemeinden des Kreises nach der Kopfzahl erwählt werden. 
Wählbar waren außer den Grundherren, den Staats= und Communal= 
beamten alle Kreisinsassen von 500 Thlr. Einkommen, und da die Wähler 
nicht verpflichtet wurden, Männer ihres Standes zu wählen, so konnten 
auch die dem Adel besonders verhaßten „Bauern-Advokaten“ leicht in 
den Kreistag gelangen. Der Vorschlag war ebenso kühn als schlecht vor-
	        
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