Ermordung des Herzogs von Berry. 143
Beide deutsche Mächte wiesen den unsinnigen Vorschlag weit von sich.
Aber die Parteiwuth der Ultras blieb unbesänftigt und sie entlud sich
endlich in rasendem Toben, als am 13. Februar 1820 der einzige noch jugend-
kräftige Sohn des königlichen Hauses, der Herzog von Berry durch einen
radicalen Fanatiker, den Schlosser Louvel ermordet wurde. Es ergab
sich sogleich, daß der Mörder ohne Mitwisser war, doch statt zu beruhigen
erhöhte diese Entdeckung nur den unheimlichen Eindruck der Blutthat.
Welch ein tödlicher Haß gegen die Bourbonen mußte die hauptstädtischen
Massen beseelen, wenn ein schlichter Handwerker, der nur mit seines-
gleichen verkehrte und radicale Zeitungen las, auf den Gedanken verfallen
konnte durch die Vernichtung des Tyrannengeschlechtes das Vaterland zu
erretten! Das königliche Haus schien dem Aussterben nahe, die Ultras
schnaubten Rache und ziehen das gemäßigte Ministerium der Mitschuld.
Schon nach fünf Tagen mußte der König den Bitten des Thronfolgers
und der Prinzessinnen nachgeben und seinen Liebling Decazes entlassen.
Chateaubriand rief dem Gestürzten die gräßliche Anklage nach: seine Füße
sind im Blute ausgeglitten, er ist gefallen! Nunmehr übernahm Richelien
wieder die Leitung des Cabinets, in der ehrlichen Absicht, zugleich die
radicalen Verschwörer zu schrecken und den Grimm der Ultras zu mäßigen.
Das Wahlgesetz ward geändert, so daß die Höchstbesteuerten den gehässigen
Vorzug eines doppelten Stimmrechts erhielten, die Freiheit der Presse und
der Personen scharf beschränkt. Der alternde König hatte inzwischen an
der Gräfin du Cayla einen neuen Günstling gefunden und näherte sich
seitdem den Ultras.
Die großen Mächte verfolgten diesen Umschwung mit banger
Besorgniß, sie hielten den wohlmeinenden Minister nicht für stark genug
um den Sturm zu beschwören.?) In der That beförderten seine Maß-
regeln nur die Erbitterung der Parteien. In Paris und anderen Städten
rotteten sich die Massen zu wilden Aufläufen zusammen, und mehrmals
floß Blut auf den Straßen. Im August ward in mehreren Garnisonen
eine gefährliche Soldatenverschwörung entdeckt; ihre Fäden reichten, wie
Jedermann fühlte, sehr weit hinauf in die Kreise der napoleonischen
Offiziere und hinab bis zu dem geheimnißvollen Comité directeur, jedoch
es gelang nicht sie ganz bloßzulegen. Und wieder wendeten sich leiden-
schaftliche Ultras wie Sosthène de la Rochefoucauld hilfeflehend an die
fremden Mächte. Bergasse, derselbe unselige Mann, der, schon vor der
Revolution in Beaumarchais“ Lustspielen gebrandmarkt, dann im Jahre 89
bei allen Staatsstreichplänen des Hofes mitgeschlichen war, sendete jetzt
(1. Sept.) dem Czaren Alexander eine Denkschrift, die an die schlimmsten
des Verfassers der Denkschrift, Berlin 8. Nov. 1819. Den Namen des Verfassers, der
unzweifelhaft dem Pavillon Marsan nahe stand, vermag ich nicht anzugeben.
*) Krusemark's Berichte, Wien 21. Febr., 5. März 1820.