Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Ermordung des Herzogs von Berry. 143 
Beide deutsche Mächte wiesen den unsinnigen Vorschlag weit von sich. 
Aber die Parteiwuth der Ultras blieb unbesänftigt und sie entlud sich 
endlich in rasendem Toben, als am 13. Februar 1820 der einzige noch jugend- 
kräftige Sohn des königlichen Hauses, der Herzog von Berry durch einen 
radicalen Fanatiker, den Schlosser Louvel ermordet wurde. Es ergab 
sich sogleich, daß der Mörder ohne Mitwisser war, doch statt zu beruhigen 
erhöhte diese Entdeckung nur den unheimlichen Eindruck der Blutthat. 
Welch ein tödlicher Haß gegen die Bourbonen mußte die hauptstädtischen 
Massen beseelen, wenn ein schlichter Handwerker, der nur mit seines- 
gleichen verkehrte und radicale Zeitungen las, auf den Gedanken verfallen 
konnte durch die Vernichtung des Tyrannengeschlechtes das Vaterland zu 
erretten! Das königliche Haus schien dem Aussterben nahe, die Ultras 
schnaubten Rache und ziehen das gemäßigte Ministerium der Mitschuld. 
Schon nach fünf Tagen mußte der König den Bitten des Thronfolgers 
und der Prinzessinnen nachgeben und seinen Liebling Decazes entlassen. 
Chateaubriand rief dem Gestürzten die gräßliche Anklage nach: seine Füße 
sind im Blute ausgeglitten, er ist gefallen! Nunmehr übernahm Richelien 
wieder die Leitung des Cabinets, in der ehrlichen Absicht, zugleich die 
radicalen Verschwörer zu schrecken und den Grimm der Ultras zu mäßigen. 
Das Wahlgesetz ward geändert, so daß die Höchstbesteuerten den gehässigen 
Vorzug eines doppelten Stimmrechts erhielten, die Freiheit der Presse und 
der Personen scharf beschränkt. Der alternde König hatte inzwischen an 
der Gräfin du Cayla einen neuen Günstling gefunden und näherte sich 
seitdem den Ultras. 
Die großen Mächte verfolgten diesen Umschwung mit banger 
Besorgniß, sie hielten den wohlmeinenden Minister nicht für stark genug 
um den Sturm zu beschwören.?) In der That beförderten seine Maß- 
regeln nur die Erbitterung der Parteien. In Paris und anderen Städten 
rotteten sich die Massen zu wilden Aufläufen zusammen, und mehrmals 
floß Blut auf den Straßen. Im August ward in mehreren Garnisonen 
eine gefährliche Soldatenverschwörung entdeckt; ihre Fäden reichten, wie 
Jedermann fühlte, sehr weit hinauf in die Kreise der napoleonischen 
Offiziere und hinab bis zu dem geheimnißvollen Comité directeur, jedoch 
es gelang nicht sie ganz bloßzulegen. Und wieder wendeten sich leiden- 
schaftliche Ultras wie Sosthène de la Rochefoucauld hilfeflehend an die 
fremden Mächte. Bergasse, derselbe unselige Mann, der, schon vor der 
Revolution in Beaumarchais“ Lustspielen gebrandmarkt, dann im Jahre 89 
bei allen Staatsstreichplänen des Hofes mitgeschlichen war, sendete jetzt 
(1. Sept.) dem Czaren Alexander eine Denkschrift, die an die schlimmsten 
  
des Verfassers der Denkschrift, Berlin 8. Nov. 1819. Den Namen des Verfassers, der 
unzweifelhaft dem Pavillon Marsan nahe stand, vermag ich nicht anzugeben. 
*) Krusemark's Berichte, Wien 21. Febr., 5. März 1820.
	        
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