Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Verabredung eines neuen Congresses. 159 
Briefe, ihm diesen Herzenswunsch nicht zu versagen. Der Sprache des 
Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm selten zu widerstehen, sofern es sich 
nicht um Gewissensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer 
Reunion — sehr ungern freilich und ohne seine Meinung über die 
italienische Frage zu ändern.“') Nunmehr mußte auch Metternich nach- 
geben, wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen 
verabredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warschau weilte, um 
Mitte Oktober in dem nahen Troppau zusammenzutreffen. Wie einst 
die Niederlande unter Wilhelm III., so bildete jetzt Oesterreich den Mittel- 
punkt der Staatengesellschaft, und wie man damals alle großen Congresse, 
vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländischem Ge- 
biete abzuhalten pflegte, so ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrscher 
Europas sich um Kaiser Franz, in seinen Kronländern zusammenfanden. 
Den Westmächten kam die Abrede der drei Monarchen sehr un- 
gelegen. Richelien erschrak über die Folgen seines eigenen Vorschlags, er 
begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden constitutionellen Höfe 
des Westens in Troppau neben den drei Ostmächten spielen würden; 
doch es war zu spät zur Umkehr. In seiner Verstimmung verfiel er dann 
auf eine unglückliche Halbheit und beschloß, mindestens nicht selber auf 
dem Congresse zu erscheinen. Castlereagh aber wurde durch den Proceß 
der Königin in London festgehalten und beauftragte seinen Bruder, den 
Gesandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiser Franz nach Troppau 
zu folgen. Das ließ sich zur Noth vor dem Parlament entschuldigen; 
über die Herzensmeinung seiner britischen Freunde konnte Metternich doch 
nicht in Zweifel sein, da sie eben jetzt zum Schutze der königlichen Familie 
eine Flotte nach Neapel sendeten. Während also die drei Monarchen 
des Ostens mit ihren leitenden Ministern persönlich in Troppau erschienen, 
war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges, einen 
unbedeutenden, launischen Sonderling vertreten. Fast noch deutlicher 
spiegelte sich die Rathlosigkeit des französischen Hofes in den Personen 
seiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig constitutionell 
gesinnte Graf La Ferronays zu leisten, da ihm als erster Bevollmächtigter 
der Marquis von Caraman vorgesetzt war, ein erklärter politischer 
Gegner, der den Ultras nahe stand? So traten die Westmächte von 
Haus aus unsicher und schwächlich auf. Nur die beiden deutschen Höfe 
wußten genau was sie wollten: die Vernichtung der Revolution durch 
Oesterreich allein. 
Diese Ueberlegenheit des klaren Willens mußte auch Kaiser Alexander 
bald genug empfinden. Der Czar wollte den Zweck ohne die Mittel, er 
schwankte wieder zwischen den Rathschlägen Nesselrodes und Kapodistrias", 
und die Erfahrungen, die er soeben auf seinem zweiten polnischen Reichs- 
  
*) Vernstorff's Weisung an Krusemark, 17. Sept. 1820.
	        
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