Verabredung eines neuen Congresses. 159
Briefe, ihm diesen Herzenswunsch nicht zu versagen. Der Sprache des
Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm selten zu widerstehen, sofern es sich
nicht um Gewissensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer
Reunion — sehr ungern freilich und ohne seine Meinung über die
italienische Frage zu ändern.“') Nunmehr mußte auch Metternich nach-
geben, wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen
verabredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warschau weilte, um
Mitte Oktober in dem nahen Troppau zusammenzutreffen. Wie einst
die Niederlande unter Wilhelm III., so bildete jetzt Oesterreich den Mittel-
punkt der Staatengesellschaft, und wie man damals alle großen Congresse,
vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländischem Ge-
biete abzuhalten pflegte, so ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrscher
Europas sich um Kaiser Franz, in seinen Kronländern zusammenfanden.
Den Westmächten kam die Abrede der drei Monarchen sehr un-
gelegen. Richelien erschrak über die Folgen seines eigenen Vorschlags, er
begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden constitutionellen Höfe
des Westens in Troppau neben den drei Ostmächten spielen würden;
doch es war zu spät zur Umkehr. In seiner Verstimmung verfiel er dann
auf eine unglückliche Halbheit und beschloß, mindestens nicht selber auf
dem Congresse zu erscheinen. Castlereagh aber wurde durch den Proceß
der Königin in London festgehalten und beauftragte seinen Bruder, den
Gesandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiser Franz nach Troppau
zu folgen. Das ließ sich zur Noth vor dem Parlament entschuldigen;
über die Herzensmeinung seiner britischen Freunde konnte Metternich doch
nicht in Zweifel sein, da sie eben jetzt zum Schutze der königlichen Familie
eine Flotte nach Neapel sendeten. Während also die drei Monarchen
des Ostens mit ihren leitenden Ministern persönlich in Troppau erschienen,
war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges, einen
unbedeutenden, launischen Sonderling vertreten. Fast noch deutlicher
spiegelte sich die Rathlosigkeit des französischen Hofes in den Personen
seiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig constitutionell
gesinnte Graf La Ferronays zu leisten, da ihm als erster Bevollmächtigter
der Marquis von Caraman vorgesetzt war, ein erklärter politischer
Gegner, der den Ultras nahe stand? So traten die Westmächte von
Haus aus unsicher und schwächlich auf. Nur die beiden deutschen Höfe
wußten genau was sie wollten: die Vernichtung der Revolution durch
Oesterreich allein.
Diese Ueberlegenheit des klaren Willens mußte auch Kaiser Alexander
bald genug empfinden. Der Czar wollte den Zweck ohne die Mittel, er
schwankte wieder zwischen den Rathschlägen Nesselrodes und Kapodistrias",
und die Erfahrungen, die er soeben auf seinem zweiten polnischen Reichs-
*) Vernstorff's Weisung an Krusemark, 17. Sept. 1820.