Preußen und die römische Kirche. 199
entfremdet, und die Mehrzahl seiner deutschen Katholiken wohnte in jenen
Krummstabsländern des Westens, die von Altersher den Kern der römischen
Macht auf deutschem Boden bildeten, dicht neben dem Paradiese der
Priester, den vormals spanischen Niederlanden. Zwei von den drei geist-
lichen Kurfürstenthümern des heiligen Reichs, Köln und Trier, gehörten
jetzt fast ganz zu Preußen, dazu Theile von Mainz und die beiden Hoch-
burgen der clericalen Gesinnung im Norden, Paderborn und Münster.
Sogar der altbairische Katholicismus stand dem modernen Staate nicht
so feindselig gegenüber, denn er war seit Jahrhunderten an die scharf
gehandhabte Kirchenhoheit eines volksbeliebten rechtgläubigen Fürstenhauses
gewöhnt. In den geistlichen Fürstenthümern galt die Landeshoheit immer
nur als Zubehör und Ausstattung des bischöflichen Amts, und ganz
unfaßbar schien hier der Gedanke, daß der dienende Staat sich jemals
über seine Herrin, die Kirche erheben sollte. Selbst die Revolution hatte
diese tief eingewurzelten kirchenpolitischen Ansichten des rheinischen Volks
nur erschüttert, nicht zerstört. Die gestrenge Kirchenhoheit des Bona-
partismus ward ertragen, weil Niemand der Herrschaft des Säbels zu
widersprechen wagte und weil Napoleon der mächtige Schirmvogt der
römischen Kirche war. Sobald aber die Behörden des protestantischen
Preußenkönigs ihr friedliches Regiment antraten, begegneten sie überall
dem Mißtrauen des katholischen Volkes. Eben hier im Nordwesten, in
den kirchlich gemischten clevisch-märkischen Landschaften hatte die junge
Monarchie der Hohenzollern vor zweihundert Jahren ihre duldsame Kirchen-
politik zum ersten male bethätigt; jetzt erwuchs ihr die ungleich schwierigere
Aufgabe, auch die Kernlande der katholischen Glaubenseinheit und der
theokratischen Weltanschauung an das gemeine Recht eines paritätischen
Staates zu gewöhnen. Alle Feinde Deutschlands hielten das Unternehmen
für aussichtslos und hofften zuversichtlich, an dem Dangergeschenke dieser
westlichen Provinzen werde Preußen zu Grunde gehen.
In solcher Lage mußte die preußische Krone jeden unnützen Streit mit
dem Papste zu vermeiden suchen, und sie täuschte sich nicht darüber, daß sie
eine förmliche Anerkennung ihrer Kirchenhoheit von Seiten der Curie
niemals erlangen konnte. Unter Friedrich dem Großen hatte der römische
Stuhl die oberstbischöfliche Gewalt der Landesherrschaft, die er in Oester-
reich zur Zeit Joseph's II. leidenschaftlich bekämpfte, stillschweigend ertragen,
weil er wohl wußte, daß diese starke Krone seiner gläubigen Heerde eine
Freiheit gewährte, wie kein anderer protestantischer Fürst jener Tage. In-
zwischen hatte sich die Welt verwandelt. Die Gleichberechtigung der
Confessionen war überall in Deutschland anerkannt, und die Bundesakte
bestimmte ausdrücklich, daß die Verschiedenheit der christlichen Religions-
parteien keinen Unterschied im Genusse der politischen Rechte begründen
dürfe. Die Secularisationen hatten den Reichthum der deutschen Kirche
zerstört, aber auch die Macht des Papstes gegenüber dem besitzlosen Clerus