Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kirchenpolitik der preußischen Regierung. 201 
betrachteten die römische Kirche mit unverhohlenem Mißtrauen; auch Graf 
Solms-Laubach stand dieser Ansicht nahe, da er als rheinischer Ober— 
präsident schon manchen Straus mit dem Aachener Generalvicariate hatte 
durchfechten müssen. Der fromme Nicolovius hingegen bewahrte noch in 
treuer Erinnerung das lichte Bild jenes gläubigen und durchgeistigten 
Katholicismus, den er einst in dem gottseligen Kreise der Fürstin Galitzin 
lieben gelernt; er vergaß darüber beinahe die politische Macht und Herrsch— 
sucht der römischen Kirche und näherte sich unbemerkt den kirchenpolitischen 
Grundsätzen seines Amtsgenossen Geh. Rath Schmedding, der, ein ver— 
ständiger, nüchterner, fast rationalistisch gesinnter Geschäftsmann, doch von 
den clericalen Anschauungen seiner münsterländischen Heimath niemals 
ganz frei wurde und den Ansprüchen der römischen Curie sehr weit ent— 
gegenkam. Schmedding's Urtheil fiel um so schwerer ins Gewicht, da 
er der einzige Katholik und der tüchtigste Kanonist im Cultusministerium 
war. Fast alle die anderen Räthe der Krone besaßen keine lebendige 
Kenntniß von der römische Kirche — ein Mangel, der bis zum heutigen 
Tage dem preußischen Beamtenthum eigenthümlich geblieben ist; sie über- 
trugen ihre ernsthaften protestantischen Begriffe auf die katholische Welt, 
betrachteten die wesentlich politische Partei der Ultramontanen als eine 
Gesinnungsverwandte der evangelischen Orthodoxie und verstanden nicht 
recht zu leben mit diesem Clerus, der, schon von der Schulbank her an 
die römischen Künste des silere, dissimulare, scire und tolerare posse 
gewöhnt, für die ruhige Sprache der selbstbewußten Macht immer empfäng- 
lich ist, aber jede Unsicherheit der weltlichen Gewalt rücksichtslos auszu- 
beuten versteht. Also erneuerten sich im Schooße der preußischen Regierung 
die nämlichen Kämpfe, welche ein Menschenalter zuvor die literarische Welt 
bewegt hatten, als Nicolai und Biester in der Berliner Monassschrift 
die Jesuiten und die Finsterlinge anklagten und F. H. Jacobi dawider 
das Recht des gläubigen Herzens vertheidigte. Wahrheit und Irrthum 
lagen seltsam gemischt auf beiden Seiten, und Altenstein fühlte mit feinem 
Takt heraus, daß der Cultusminister sich keiner der beiden Parteien un- 
bedingt anschließen durfte. 
Wieder eine andere ganz eigenthümliche Ansicht der Kirchenpolitik 
hegte Niebuhr, der Gesandte in Rom. Preußen war der erste protestan- 
tische Hof, der sich im Vatican durch eine stehende Gesandtschaft vertreten 
ließ. Der römische Posten hatte bisher nur zur Erledigung unscheinbarer 
laufender Geschäfte gedient und erhielt jetzt erst, da die Errichtung der 
neuen Landesbisthümer bevorstand, eine politische Bedeutung. Bei seiner 
Neubesetzung ging Hardenberg von der Erwägung aus, daß nur ein 
gegen die geistlichen Waffen der Curie gefeiter Mann, ein Protestant 
und ein Weltlicher, die Verhandlungen würdig führen könne; der neue 
Gesandte durfte aber auch kein hohes Amt bekleiden, damit der Papst 
nicht auf den Einfall geriethe, seinerseits einen Nuntius nach Berlin zu
	        
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