Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

410 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
von statten ging, als Hardenberg gedacht hatte. Es blieb sehr zweifelhaft, 
ob die Krone schon im Jahre 1833 über eine ausreichende Masse von 
Staatsforsten würde frei verfügen können; ein Ankauf von Landgütern 
aber war gesetzlich unmöglich, da die Staatsschuld nicht ohne die Zustim— 
mung der Reichsstände vermehrt werden durfte. In solcher Lage drängten 
sich die schweren politischen und volkswirthschaftlichen Bedenken, welche 
gegen den Grundbesitz der Kirche sprechen, unabweisbar auf, und die Regie— 
rung beschloß stillschweigend, diesen Theil der Circumscriptionsbulle unaus- 
geführt zu lassen. Die Kirche erlitt dadurch keine Einbuße, denn sie er- 
hielt den versprochenen Zuschuß pünktlich und sicher von den Regierungs- 
hauptkassen ausgezahlt; sie verlor nur die sehr unbestimmte Aussicht auf 
die mögliche Erwerbung von Grundbesitz. Aber dies formelle Unrecht 
genügte der ultramontanen Partei, um den Staat des Vertragsbruchs, 
des Kirchenraubes zu beschuldigen. 
Besser begründet war die Klage der Katholiken über die Kirchen- 
paraden. Nach dem alten gedankenlos beibehaltenen Herkommen wurden 
die Truppen auch jetzt noch an einem Sonntage jedes Monats in die 
evangelischen Garnisonkirchen geführt, obgleich in manchen Regimentern 
der westlichen Provinzen die Mannschaft fast durchweg aus Katholiken 
bestand. Der König hatte angeordnet, daß in solchen Fällen nur eine 
kurze, für beide Confessionen unverfängliche Predigt gehalten würde, und 
meinte arglos: wenn sein Heer vor der Schlacht gemeinsam bete, warum 
nicht auch am Sonntage? Er lebte selber so ganz in den Ideen des allge- 
meinen evangelischen Christenthums, daß er sich die Anschauungen einer 
Kirche, welche ihren Mitgliedern die Theilnahme am Gottesdienste anderer 
Christen streng verbietet, gar nicht vorstellen konnte. Das katholische Volk 
aber fühlte sich in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. Am Rhein 
äußerte sich der Unwille so laut, daß die Generale der Provinz überein- 
kamen, die anstößige Vorschrift auf sich beruhen zu lassen, was sie dem 
Monarchen freilich nicht mitzutheilen wagten. In Westphalen dagegen 
bestand die Unsitte fort, und die wohlberechtigten Klagen, die von dort 
herüberdrangen, fanden im Rheinlande dankbare Hörer. 
Alle diese Mißhelligkeiten bedeuteten wenig neben dem Streite über 
die gemischten Ehen, der sich von Jahr zu Jahr bedenklicher gestaltete. 
Da die römische Kirche die Ehe für ein Sakrament hält, so betrachtet sie 
jede Ehe, welche den kanonischen Vorschriften widerspricht, als ein Con- 
cubinat und kann dem Staate niemals die Befugniß zugestehen, nach 
seinem Ermessen das Eherecht zu ordnen. In den alten Zeiten der Staats- 
allmacht hatte sie sich wohl den weltlichen Gesetzen gefügt, doch immer 
mit dem stillen Vorbehalte, ihre niemals aufgegebenen Grundsätze zur 
günstigen Stunde wieder geltend zu machen. Und diese Stunde schien 
jetzt gekommen, da das Schiff des Apostelfürsten wieder so fröhlich daher- 
fuhr; zum mindesten war der römische Hof entschlossen, der weltlichen
	        
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