410 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
von statten ging, als Hardenberg gedacht hatte. Es blieb sehr zweifelhaft,
ob die Krone schon im Jahre 1833 über eine ausreichende Masse von
Staatsforsten würde frei verfügen können; ein Ankauf von Landgütern
aber war gesetzlich unmöglich, da die Staatsschuld nicht ohne die Zustim—
mung der Reichsstände vermehrt werden durfte. In solcher Lage drängten
sich die schweren politischen und volkswirthschaftlichen Bedenken, welche
gegen den Grundbesitz der Kirche sprechen, unabweisbar auf, und die Regie—
rung beschloß stillschweigend, diesen Theil der Circumscriptionsbulle unaus-
geführt zu lassen. Die Kirche erlitt dadurch keine Einbuße, denn sie er-
hielt den versprochenen Zuschuß pünktlich und sicher von den Regierungs-
hauptkassen ausgezahlt; sie verlor nur die sehr unbestimmte Aussicht auf
die mögliche Erwerbung von Grundbesitz. Aber dies formelle Unrecht
genügte der ultramontanen Partei, um den Staat des Vertragsbruchs,
des Kirchenraubes zu beschuldigen.
Besser begründet war die Klage der Katholiken über die Kirchen-
paraden. Nach dem alten gedankenlos beibehaltenen Herkommen wurden
die Truppen auch jetzt noch an einem Sonntage jedes Monats in die
evangelischen Garnisonkirchen geführt, obgleich in manchen Regimentern
der westlichen Provinzen die Mannschaft fast durchweg aus Katholiken
bestand. Der König hatte angeordnet, daß in solchen Fällen nur eine
kurze, für beide Confessionen unverfängliche Predigt gehalten würde, und
meinte arglos: wenn sein Heer vor der Schlacht gemeinsam bete, warum
nicht auch am Sonntage? Er lebte selber so ganz in den Ideen des allge-
meinen evangelischen Christenthums, daß er sich die Anschauungen einer
Kirche, welche ihren Mitgliedern die Theilnahme am Gottesdienste anderer
Christen streng verbietet, gar nicht vorstellen konnte. Das katholische Volk
aber fühlte sich in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. Am Rhein
äußerte sich der Unwille so laut, daß die Generale der Provinz überein-
kamen, die anstößige Vorschrift auf sich beruhen zu lassen, was sie dem
Monarchen freilich nicht mitzutheilen wagten. In Westphalen dagegen
bestand die Unsitte fort, und die wohlberechtigten Klagen, die von dort
herüberdrangen, fanden im Rheinlande dankbare Hörer.
Alle diese Mißhelligkeiten bedeuteten wenig neben dem Streite über
die gemischten Ehen, der sich von Jahr zu Jahr bedenklicher gestaltete.
Da die römische Kirche die Ehe für ein Sakrament hält, so betrachtet sie
jede Ehe, welche den kanonischen Vorschriften widerspricht, als ein Con-
cubinat und kann dem Staate niemals die Befugniß zugestehen, nach
seinem Ermessen das Eherecht zu ordnen. In den alten Zeiten der Staats-
allmacht hatte sie sich wohl den weltlichen Gesetzen gefügt, doch immer
mit dem stillen Vorbehalte, ihre niemals aufgegebenen Grundsätze zur
günstigen Stunde wieder geltend zu machen. Und diese Stunde schien
jetzt gekommen, da das Schiff des Apostelfürsten wieder so fröhlich daher-
fuhr; zum mindesten war der römische Hof entschlossen, der weltlichen