Die gemischten Ehen. 411
Gewalt kein neues Zugeständniß mehr zu gewähren. Eine reine unzwei—
deutige Verständigung zwischen diesen herrischen Ansprüchen und den
unveräußerlichen Rechten der souveränen Staatsgewalt blieb unmöglich.
Es gab für den Staat nur einen Weg um zugleich seine Hoheitsrechte
zu wahren, die Gleichberechtigung der Bekenntnisse zu schützen und den
katholischen Priestern Gewissensbedrängnisse zu ersparen: wenn er die
Eheschließung durch seine eigenen Beamten vollzog und der Kirche frei
stellte, der rechtsgiltigen Ehe nachträglich ihren Segen zu geben oder zu
versagen. Dies einzig wirksame Mittel lag in Preußen nahe zur Hand,
da die Civil-Ehe in den Ländern des rheinischen Rechts bereits bestand,
aber weder die Krone noch der Clerus wollte davon ernstlich Gebrauch
machen. Die Kirche verdammte die bürgerliche Ehe als Ausgeburt des
jacobinischen Heidenthums; sie hieß es willkommen, wenn der Staat ihr
seinen dienenden Arm lieh um die kirchliche Eheschließung überall zu
erzwingen, nur sollte er auch ihr päpstliches Eherecht anerkennen. Am
Berliner Hofe urtheilte man kaum weniger hart über dies Vermächtniß
der Revolution, am härtesten der König selbst, der es seinem Luther hoch
anrechnete, daß erst durch die Reformation die kirchliche Einsegnung der
Ehe zur allgemeinen christlichen Sitte geworden war. Im Justizministerium
bestand längst die Absicht, die Civil-Ehe am Rhein spätestens durch die Re-
vision des allgemeinen Landrechts wieder abzuschaffen. Auch dem Rechts-
bewußtsein des Volkes war diese französische Erfindung noch ganz fremd;
ein Bedürfniß darnach schien in Deutschland nicht vorzuliegen, da seit
dem Westphälischen Frieden ein ernster Streit wegen der gemischten Ehen
kaum vorgekommen war.
Erst weit später, erst durch die bitteren Erfahrungen des preußischen
Kirchenstreits gelangte die öffentliche Meinung zu der Einsicht, daß ein
paritätisches Volk um des confessionellen Friedens willen der Civil-Ehe
bedarf. Damals galt der großen Mehrheit der Deutschen nur die kirch-
lich eingesegnete Ehe für vollkommen rechtmäßig. Auch die Rheinländer
dachten nicht anders, und die preußische Krone hielt sich daher für befugt,
die Bedingungen der kirchlichen Eheschließung auch in den Ländern des
rheinischen Rechts durch Staatsgesetze vorzuschreiben. In den östlichen
Provinzen galt seit dem Jahre 1803 unangefochten die gesetzliche Vor-
schrift, daß die Kinder gemischter Ehen dem Bekenntniß des Vaters folgen
sollten; in den Landschaften des Westens dagegen bestand noch eine Fülle
von verschiedenen kirchlichen Vorschriften, welche die Einsegnung gemischter
Ehen erschwerten oder sie nur gegen das Versprechen katholischer Kinder-
erziehung gestatteten. Nach wiederholten vergeblichen Verboten und Er-
mahnungen befahl der König durch die Cabinetsordre vom 17. August
1825, daß jene Declaration vom Jahre 1803 fortan in allen Provinzen
befolgt werden solle. Seine Minister glaubten in ihrer naiven Unkenntniß
katholischer Verhältnisse, hiermit sei endlich ein sicherer, gleichmäßiger