412 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Rechtszustand für das gesammte Staatsgebiet geschaffen; denn nach pro-
testantischer Logik schien es undenkbar, daß die römische Kirche ein Gesetz,
das sie in Schlesien seit zwanzig Jahren unweigerlich befolgte, in West-
phalen und am Rhein bekämpfen sollte. Man mußte jedoch bald lernen,
daß Rom niemals freiwillig einen Besitzstand aufgiebt. Die rheinischen
Priester umgingen das neue Gesetz, unbekümmert um das gute Beispiel
ihrer schlesischen Amtsbrüder. Sie verweigerten die Einsegnung gemischter
Ehen ohne Angabe von Gründen, da sie nicht mehr wagten, den Braut-
leuten das förmliche Versprechen der katholischen Kindererziehung abzu-
fordern; und selbst die wohlmeinenden Bischöfe Spiegel und Hommer
vermochten dem Unwesen nicht zu steuern, weil die in den rheinischen
Krummstabslanden noch bestehenden alten kirchlichen Vorschriften ohne
päpstlichen Dispens nicht abgeändert werden durften.
Da bot sich ein Helfer in der Noth: der neue Vertreter Preußens
beim römischen Hofe, C. K. Josias Bunsen. Was hätte er sich damals
auch nicht zugetraut, dieser Liebling des Glücks, in den ersten Jahren
seiner vielbeneideten Erfolge! In kleinen Verhältnissen aufgewachsen, dann
durch Niebuhr in die diplomatische Laufbahn eingeführt und nach wenigen
Jahren schon des Meisters Nachfolger, errang er sich in der römischen
Gesellschaft bald eine günstige Stellung durch das stärkste und wirksamste
seiner mannigfaltigen Talente, die ganz eigenthümliche Kunst belebender
und anregender Unterhaltung. In dem Palaste Caffarelli auf der Höhe
des Capitols, wo die preußische Gesandtschaft jetzt hauste, fand sich Alles
zusammen, was die Weltstadt an geistreichen Menschen, Fremden und Ein-
heimischen beherbergte, und noch nach langen Jahren gedachten alle alten
„Capitoliner", wo immer in der Welt sie einander begegneten, mit dank-
barer Freude jener prunklosen und doch so reizvollen Geselligkeit, deren
sie einst bei Bunsen und seiner edlen Frau, einer vornehmen Engländerin
genossen hatten. Der Hausherr, ein bildschöner Mann mit leuchtenden
Prophetenaugen, wußte aus der Fülle seiner Gedanken und seiner allseitigen
Belesenheit jedem Gaste etwas zu bieten. Die jungen Talente unter
den Künstlern und Gelehrten schlossen sich ihm begeistert an, er förderte
ihre Entwicklung mit feinsinnigem Verständniß, und sie ließen sichs gern
gefallen, daß er die Ideen seiner Schützlinge ganz unbedenklich in Wort
und Schrift für sich selber ausnutzte. Das zweifellose Selbstgefühl, das
aus jeder seiner Mienen sprach, heischte und erzwang Bewunderung; nur
selten einmal wagte ein unbefangenes Weltkind flüsternd zu bemerken,
dies ewige feierliche Pathos werde auf die Dauer doch langweilig.
Von dem europäischen Ruhme seiner Vorgänger Humboldt und Nie-
buhr fiel ein Abglanz zurück auf Bunsew's jugendlichen Scheitel; die nam-
haften Fremden, die sich seiner Gastfreundschaft erfreut, die Engländer
zumal, erzählten überall von dem Zauber seines Umgangs und der Un-
ermeßlichkeit seines Wissens. So ward er berühmt noch bevor er Erheb-