Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

416 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
er auch in den alten Krummstabslanden der Erzdiöcese eingeführt werden 
dürfe, darüber gab das Breve keine Vorschrift. Die schwierige Frage blieb 
ungelöst, und da sie irgendwie gelöst werden mußte, so stand ein verhängniß- 
volles kirchenpolitisches Zerwürfniß fast unvermeidlich bevor. — 
Altenstein fuhr indessen fort, die katholische Kirche mit rücksichtsvoller 
Schonung zu behandeln. Noch niemals hatte Preußens Krone das Recht 
des Placet so nachsichtig gehandhabt. Die älteren noch an die gestrenge 
fridericianische Kirchenpolitik gewöhnten Beamten konnten sich in diese Zart- 
heit gar nicht finden. Als einer von Altenstein's obersten Räthen, Becken- 
dorff zur römischen Kirche übertrat, erhob sich sofort das Gerücht, der 
Minister sei in der Hand der Papisten, und es verstummte auch nicht als 
der Convertit unverzüglich entlassen wurde. Schön, der überall clericale 
Umtriebe witterte, wagte sogar seinen alten Freund, den treuen Prote- 
stanten Nicolovius zu beschuldigen, auch er sei insgeheim katholisch ge- 
worden, und erregte dadurch einen langen gehässigen Zwist, den der 
König durch einen scharfen Verweis an den leidenschaftlichen Oberpräsi- 
denten beendigte. 
Freilich kam das Wohlwollen des Ministers zumeist den Bischöfen 
zu gute. Denn nach seiner territorialistischen Ansicht war der Staat ver- 
pflichtet, jede Kirche nach dem Geiste ihrer eigenen Verfassung zu regieren, 
mithin die katholischen Priester ebenso zum Gehorsam gegen ihre Bischöfe 
anzuhalten, wie die evangelischen Geistlichen zur Unterwerfung unter 
die oberstbischöfliche Gewalt des Königs. Und wie die protestantische 
Geistlichkeit in diesen Tagen des Agendestreites durch die nachdrücklichen 
Vermahnungen des landesherrlichen Kirchenregiments bedrängt wurde, 
so hatte auch der niedere Clerus der katholischen Kirche Schlesiens unter 
dem Bevormundungseifer des Ministers zu leiden. In Schlesien begann 
sich die ultramontane Partei mit Macht zu regen, seit der Fürstbischof 
Schimonsky, ein noch im alten Germanicum erzogener strenger Clericaler, 
den Hirtenstab führte. Wie wurde der Breslauer Jurist Regenbrecht miß- 
handelt und angeschwärzt, weil er in einer Dissertation über den Ursprung 
des Kirchenregiments den Satz erwies, daß Christus der Kirche eine Form 
für ihre Verfassung nicht vorgeschrieben habe — eine Wahrheit, welche 
der protestantischen Welt schon seit dreihundert Jahren geläufig war. Der 
Mainzer Katholik und die gesammte clericale Presse riefen Wehe, und 
erschreckt durch dies Geschrei meinte Gentz, es sei unglaublich, was man der 
preußischen Regierung auf ihren Kathedern heute Alles bieten dürfe. Selbst 
der ehrwürdige Domherr Dereser, ein alter Kämpe des gemäßigten Katho- 
licismus, galt schon für verdächtig, sein weitverbreitetes Deutsches Brevier 
*) Altenstein's Bericht an den König, 18. Mai; Cabinetsordre an Altenstein, 
11. Juni; Altenstein an Lottum, 16. Juli; Lottum an Albrecht, 23. Juli 1827. Die 
übrigen Aktenstücke in Schön's Papieren, V. 156f.
	        
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