A. Theiner und der schlesische Clerus. 417
für ein Lehrbuch des Unglaubens; und er hatte doch einst in Straßburg
während der Revolution seine priesterliche Treue mit Gefahr seines Lebens
ewährt.
Welches Aufsehen vollends, als ein Schüler Dereser's, der junge
Theolog Anton Theiner alle die unklaren reformatorischen Gedanken,
welche im schlesischen Clerus seit Langem gährten, öffentlich auszusprechen
wagte. In seiner Schrift über die katholische Kirche Schlesiens (1826)
kündigte Theiner den Ultramontanen, „die von Mainz aus das bleierne
Scepter der Superstition über Deutschland schwingen“, offene Fehde an;
er verlangte Aufhebung des Cölibats, Einführung der deutschen Messe
und des Gemeindegesanges und meinte harmlos, das Alles lasse sich er-
reichen ohne die Einheit der katholischen Kirche zu gefährden. Das phrasen-
reiche, weder durch neue Gedanken noch durch religiösen Ernst aus-
gezeichnete Buch rief eine Unzahl von Streitschriften hervor, die allesammt
vorsichtig außerhalb des Machtbereiches der preußischen Censur erschienen.
Um dieselbe Zeit wurde dem württembergischen und dem badischen Land-
tage in mehreren Petitionen die Abschaffung des Cölibats empfohlen, doch
weder die Landstände noch die Regierungen wollten darauf eingehen, da
die Masse des katholischen Volkes der Bewegung fern blieb. Auch die
Schlesier versuchten die Staatsgewalt für ihre Reformgedanken zu ge-
winnen; elf Geistliche und einige Grundbesitzer baten den König um
Besserung der Kirchenzucht und des Cultus, vor Allem um die Zulassung
der Muttersprache.
Der Fürstbischof fuhr sogleich mit Vermahnungen und Strafen da-
zwischen. Altenstein aber ertheilte den Bittstellern eine scharfe Zurecht-
weisung, weil er die Disciplin in der Kirche aufrecht erhalten wollte und
nebenbei auch demagogische Umtriebe befürchtete. Erst als der Ober-
präsident Merckel sich der verfolgten Geistlichen annahm und Bunsen, dies-
mal mit Erfolg, als Vermittler auftrat, da erst entschloß sich die Regie-
rung zu einem milderen Verfahren. Der König untersagte dem Fürst-
bischof die verhängten Strafen zu vollstrecken, aber auch der Opposition
legte der Minister Stillschweigen auf, denn die Einführung deutschen
Gottesdienstes berühre das Allerheiligste der Kirche, das Meßopfer, und
sei demnach unzulässig ohne Genehmigung der kirchlichen Oberen. Also
ward der Friede nothdürftig hergestellt; jedoch das Feuer glimmte unter
der Asche fort. Diese geringfügigen schlesischen Kirchenhändel ließen einen
Groll zurück, der zwanzig Jahre später, in der ungleich radicaleren deutsch-
katholischen Bewegung sich entladen sollte. Dem wohlmeinenden Minister
zürnten beide Parteien. Nicht ohne Grund; denn das erstarkende kirch-
liche Selbstgefühl konnte nicht mehr dulden, daß dieser Cultusminister sich
berechtigt hielt, bald evangelische Geistliche über den Geist der lutherischen
Agende, bald katholische Priester über das Meßopfer amtlich zu belehren.
Das alte System des landesherrlichen Kirchenregiments hatte sich über-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 27