482 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Kräfte an den kleinen Höfen ihr Wesen trieben und beschloß daher, alle
Verhandlungen über Zollsachen nur in Berlin zu führen. Nur in Berlin
fanden sich die kundigen Fachmänner und das reiche statistische Material,
deren man zur Lösung so vieler verwickelten Einzelfragen bedurfte. Nur
hier war man leidlich gesichert gegen die Umtriebe der Hofburg, wie gegen
die Vorurtheile der kleinen Dynastien. Der Aufenthalt in einem ernsten
Gemeinwesen übt immer einen wohlthätig ernüchternden Einfluß, und
selbst in jener stillen Zeit bewährte Preußen diese erziehende Kraft. In
den Gesandtschaftsberichten läßt sich deutlich verfolgen, wie die kleinen
Diplomaten stets mit mißtrauischem Zagen den verrufenen Berliner Boden
betraten und schon nach wenigen Monaten ein unbefangenes, ja wohl—
wollendes Urtheil über die preußischen Dinge sich bildeten. Graf Bern—
storff blieb mit den Gesandten der Mittelstaaten immer auf gutem Fuße,
selbst wenn das Verhältniß zu den Cabinetten sich trübte.
Sodann lernte man aus dem unglücklichen Verlaufe der Darm—
städter Zollconferenzen, daß Zollverhandlungen mit mehreren Staaten
zugleich, bei der großen Verschiedenheit der Interessen, keinen Erfolg ver—
sprechen. Seitdem stand in Berlin der Entschluß fest, immer nur mit
einem einzelnen Staate über Zollfragen zu verhandeln, mit mehreren nur
dann, wenn diese sich bereits zu einer handelspolitischen Einheit verbunden
hätten.“) Diese streng eingehaltene Regel erlitt eine einzige Ausnahme.
Die kleinen thüringischen Lande konnten vereinzelt weder eine Zollgrenze
bewachen, noch als Träger eines handelspolitischen Interesses gelten. Darum
hatte das Berliner Cabinet schon im Jahre 1819 dem Gothaer Hofe die
Bildung eines thüringischen Vereins empfohlen — ein Vorschlag, dessen
Berechtigung selbst auf den Darmstädter Conferenzen von dem sachkundigen
badischen Bevollmächtigten anerkannt wurde.“*) Allen anderen Staaten
gegenüber blieb der Grundsatz der Einzelverhandlungen aufrecht.
Ueber die handelspolitischen Pläne der Mittelstaaten war der Ber-
liner Hof sehr genau unterrichtet; denn an mehreren der kleinen Höfe
bestand eine einflußreiche preußische Partei, in München und Stuttgart
mindestens ein tiefer Groll gegen Oesterreich, der unseren Geschäftsmännern
zu statten kam. Dazu der landesübliche Nationalhaß des Nachbars gegen
den Nachbar; wie ließ sich ein Geheimniß bewahren, wenn heute ein
darmstädtischer, morgen ein badischer Minister sich gedrungen fühlte, seine
gerechte Entrüstung über Baierns oder Württembergs anmaßende Vor-
schläge in den schweigsamen Busen des wohlwollenden preußischen Gesandten
auszuschütten? Der Karlsruher Posten diente als die beste Warte um
den Wandel der kleinen Gestirne zu beobachten. Die Theilnahme Preußens
an dem geplanten süddeutschen Zollvereine befürwortete in Berlin Niemand,
7) So erzählt Eichhorn in der Instruktion für die Gesandtschaften v. 25. März 1828.
**) Nebenius' Bericht aus Darmstadt, 22. Sept. 1820. S. o. II. 621.