Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Welfisches Junkerthum. 551 
großen Herden seiner Heidschnucken leidlichen Wohlstand. Ueberall wo die 
sächsischen Roßköpfe auf dem Hausgiebel prangten, versammelten sich die 
Bauern noch wie vor tausend Jahren unter der Linde auf dem Ti zur 
Berathung; und fast noch stolzer hielten sich die Friesen, denn auf dem ge— 
fahrvollen Marschboden gedeiht die Unfreiheit so wenig wie im Hochgebirge. 
Aber die wirthschaftliche Kraft dieses selbstbewußten, kernhaften Volkes 
wurde gelähmt durch mannigfache Grundlasten und ein oft sehr drücken— 
des Meierrecht; Vorzügliches leistete die Landwirthschaft nur in der Pferde— 
zucht, die durch das treffliche Celler Landgestüt gefördert wurde. Mit Neid 
sah der Bauer auf den adlichen Grundherrn, der zu den Staatssteuern 
wenig, zu den Gemeindelasten nichts beitrug und bei schlechter Wirthschaft 
sich durch den Lehnsconcurs seinen Gläubigern entziehen konnte. 
Von Kindesbeinen an genoß der Edelmann einer unbilligen Begünsti— 
gung, welche selbst den gesetzlichen Sinn der Niedersachsen endlich erbittern 
mußte. Auf der Lüneburger Ritterakademie, der Pflanzstätte des welfischen 
Junkerhochmuths, wurden zwölf adliche Freischüler durch vierzehn Lehrer 
schlecht, aber standesgemäß unterrichtet. Trat der junge Edelmann als 
Auditor in die Verwaltung, so erhielt er nach kurzer Zeit den Titel Drost 
und damit das Recht seine bürgerlichen Genossen zu überspringen. Dazu 
noch die adliche Bank am Celler Obergerichte und die adlichen Stellen im 
Forstdienst. Sogar für die Hausdienerschaft des Adels war durch die be— 
rüchtigte Livree-Carriere gesorgt; die Stellen der Subalternbeamten wur— 
den in der Regel nicht mit ausgedienten Soldaten besetzt, sondern nach 
englischer Weise mit Leuten die von einem vornehmen Herrn eine Em— 
pfehlung beibrachten. Auch das reiche Klostergut, das bei dem friedlichen 
Verlaufe der Reformation hier fast ungeschmälert geblieben war, half mit 
zur Versorgung der regierenden Familien; in der lieblichen Waldeinsamkeit 
von Mariensee und in anderen stillen Winkeln versteckt lagen achtzehn 
Damenklöster, wo die Töchter des Adels, der Offiziere, der hohen Beamten 
als Chanoinessen eine Unterkunft fanden. Das Land war übersäet mit 
Privilegien und Exemtionen; von Gunst und Gnade zog Jedermann seinen 
Vortheil, bis herab zu den Göttinger Buchhändlern, die sich im Gnaden— 
wege die Postmoderation für ihre Packete errangen. 
In der Armee hatte der Adel nie so viel gegolten wie im Beamten— 
thum. Sie besaß an den Offizieren der Deutschen Legion kampferprobte 
und welterfahrene Führer. Diese Helden von Torres Vedras, Salamanca, 
Waterloo schworen auf Wellington, „den Herzog“, und hingen an den eng— 
lischen Bräuchen noch treuer sogar als die Hofgesellschaft, die jeden vor— 
nehmen Mann mit dem Lobe beehrte: er sieht aus wie ein Engländer. Der 
tapfere General Hartmann ward als Commandeur des Bath-Ordens all— 
gemein „Sir Julius“ genannt. Minder behaglich empfand der gemeine 
Soldat die Anmuth britischer Sitte, wenn er mit der neunschwänzigen 
Katze „gestripst“ wurde. Indeß forderte das erstarkende deutsche National—
	        
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