Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

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auch den beiden Trabantenvölkern der englischen Sonne, den Iren und 
den Deutschen im Glanze der Majestät zeigen. Lärmend war die Freude 
der Iren, fast noch herzlicher der Empfang in Hannover. Ein fragwürdiger 
Anblick allerdings: diese unbehilfliche Gestalt mit dem gedunsenen Gesicht 
und der jugendlichen braunen Kakadu-Perrücke; der rothe Hals war von 
dem rothen Uniformkragen schwer zu unterscheiden, und der gerühmte 
königliche Anstand ließ sich auch nur dann bemerken, wenn der Landes- 
vater nüchtern war. Einerlei, das Volk konnte sich an seinem lebendigen 
Könige nicht satt sehen; und als er nun gar, in sehr gehobener Stim- 
mung, den Bürgern seiner deutschen Hauptstadt versicherte: „ich bin stets 
Hannoveraner gewesen, ich will für immer als Hannoveraner leben und 
sterben"“ — da flammte die Begeisterung hoch auf. Wenige Wochen zuvor 
hatte er, ebenfalls in sehr gehobener Stimmung, den Iren betheuert, sein 
Herz sei stets irisch gewesen. Ueberall im Lande dieselbe Glückseligkeit, 
zahllose Reden und Gedichte, bald welfisch stolz, bald deutsch gemüthlich. 
Ein wackeres Bäuerlein hatte mit feinem Verständniß den einzigen Cha- 
rakterzug Georg's, der deutschen Gemüthern zusagte, herausgefunden und 
über seiner Thür einen gefüllten Humpen abmalen lassen, darunter die 
Inschrift: „hei kümmt, hei kümmt; ob hei wohl enen nümmt?“ Die 
Georgia Augusta feierte in prachtvoller Ode das Glück der vereinten gens 
Britanna und gens Guelphica, und Heeren schilderte nachher mit histo- 
rischer Gründlichkeit in einer besonderen Schrift die Empfangsfeier der 
Musenstadt. Das politische Ergebniß dieses Triumphzuges aber wurde 
von einem patriotischen Dichter sinnig zusammengefaßt in den Versen: 
Heil mir, spricht Jeder hochbeglückt, 
Daß ich den König hab' erblickt! 
In den Landtag brachten um die Mitte der zwanziger Jahre zwei 
neu eingetretene Mitglieder wieder einiges Leben: Lüntzel aus Hildesheim, 
der gelehrte Geschichtsschreiber seiner Vaterstadt, ein wohlmeinender, etwas 
redseliger Liberaler, und der Osnabrücker Anwalt Carl Bertram Stüve, 
ein Mann, in dem sich die Eigenart des niedersächsischen Stammes fast 
so vollständig verkörperte wie das schwäbische Wesen in Ludwig Uhland. 
„Freigesinnt sich selbst beschränkend, immerfort das Nächste denkend“ — 
diese Goethischen Verse, die er vor allen liebte, schrieben ihm seine Lands- 
leute auf sein Denkmal, und in der That hat im buchgelehrten Deutschland 
selten ein Staatsmann so fest gehaftet an der väterlichen Scholle, an den 
Gedanken und Gewohnheiten der nächsten Heimath. Stüve's Vater hatte 
als Syndicus von Osnabrück mit Justus Möser vertraulich verkehrt, und 
des Sohnes erste literarische Leistung war die Herausgabe des nachgelassenen 
Bandes von Möser's Osnabrückischer Geschichte. Hier war seine Welt, 
unter den seßhaften Hofschulzen und den derben Kleinbürgern Westphalens; 
der wohlhabende Junggesell hat niemals auch nur den Rhein besucht, die 
Welt des Schönen blieb ihm verschlossen. Er hatte der Burschenschaft
	        
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