Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

58 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Unwillen besprochen wurde. Nur der Hamburger J. L. v. Heß, derselbe, der 
schon im Jahre 1814 für „die Freiheit der Hansestädte“ geschrieben hatte, 
sendete eine Erwiderung hinaus: „Aus Norddeutschland, kein Manuscript". 
Der wackere Freistädter sprach noch ganz im Geiste des weitherzigen Patrio- 
tismus der Befreiungskriege, frei von particularistischer Empfindlichkeit, 
obschon er nach hanseatischem Brauche die „unbelastete Freiheit“ des Ham- 
burger Handels etwas überschätzte; er hielt fest an der Hoffnung, daß der 
Staat, der jenen nationalen Kampf begonnen, dereinst noch „der Eini- 
gungspunkt für Deutschland“ werden müsse, und beschämte den Gegner 
durch den unwiderleglichen Vorwurf, daß noch niemals ein norddeutscher 
Schriftsteller — auch nicht in den Tagen, da die Baiern noch unter 
Frankreichs Fahnen fochten — ebenso boshaft und lieblos über seine süd- 
deutschen Brüder geredet habe. 
An den Höfen von Wien und Berlin erregte der offene Aufruf zum 
Bundesbruche lebhafte Besorgniß. Man forschte eifrig nach dem Verfasser 
und rieth anfangs auf Hörmann oder Aretin, da der Pamphletist selber 
in der Einleitung auf Baiern als seine Heimath hindeutete; auch Wangen- 
heim erklärte auf den Darmstädter Conferenzen, das Buch könne nur 
von der Partei Montgelas' herrühren.) Nachher blieb ein dringender, 
unwiderlegter Verdacht auf Lindner haften, und nunmehr trat das Libell 
erst in das rechte Licht. Die Lästerungen jener fanatischen Bajuvaren 
wider den Norden entsprangen doch zum Theil der Unkenntniß; dieser 
Kurländer aber, der mit dem niederdeutschen Leben von Kindesbeinen an 
vertraut war, konnte sein widerliches Zerrbild vom norddeutschen Volks- 
thum unmöglich in gutem Glauben entworfen haben, er mußte die 
Absicht hegen den Süden gegen den Norden aufzuwiegeln, und in der 
That ist dies schlechte Handwerk, von Lindner an bis herab auf die 
neuesten Zeiten, immer von norddeutschen Ueberläufern mit besonderem 
Eifer getrieben worden. Man wußte, daß Lindner von König Wilhelm 
zuweilen geheime literarische Aufträge empfing; soeben erst hatte er gegen 
den Liberalen Keßler, der durch freimüthige Besprechung württembergischer 
Zustände dem Hofe lästig fiel, einen gehässigen Federkrieg geführt.) Doch 
jede Mitschuld des Königs an dem Manuscript wurde von Wintzingerode, 
auf Befehl seines Herrn, entschieden abgeleugnet, und sie schien auch kaum 
denkbar. Wer hätte glauben mögen, daß der Held von Montereau jetzt 
den Rheinbund vertheidigen und seine eigenen Verdienste mit so unziem- 
lichem und unwahrem Selbstlobe der Nation anpreisen sollte? Als aber 
Wintzingerode strenges Einschreiten gegen Lindner verlangte, weil das 
Treiben „dieser liberalen Tollhäusler“ die Großmächte unfehlbar erbittern 
müsse, da weigerte sich der König beharrlich, und erst auf das erneute 
— — —— —„ — 
*) Nebenius' Bericht an Berstett, Darmstadt 14. Nov. 1820. 
**) Küster's Bericht, 12. Febr. 1820. 
 
	        
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