Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

60 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Thätigkeit endlich Ordnung zu schaffen, so daß der Kurs der Staats- 
papiere in wenigen Jahren um mehr als 30 Procent stieg. Die deutsche 
Politik des Münchener Hofes wurde durch Rechberg und Zentner bestimmt, 
und sie standen Beide, Jeder auf seine Weise, treu zu den Großmächten. 
Auf ihre Veranlassung") brachte die Augsburger Allgemeine Zeitung eine 
Kritik des Manuscripts, welche alle Sonderbundsgedanken mit bitterem 
Spotte abfertigte. — 
Mittlerweile trat auch der letzte der süddeutschen Staaten, der bisher 
noch an der unbeschränkten Monarchie festgehalten, zu den Formen des 
constitutionellen Staates über. Pünktlich wie er es verheißen, verlieh Groß- 
herzog Ludwig von Hessen durch das Edikt vom 18. März 1820 seinem 
Lande eine Verfassung; er hoffte durch diese behutsame Gewährung, wie 
er den großen Mächten sagen ließ, allen Erwartungen der Wiener Con- 
ferenzen zu entsprechen, seine Zusage zu erfüllen und zugleich „die Kraft 
seiner Regierung zu sichern“. *) Sein vertrauter Rath, der verdiente 
Strafrechtslehrer Grolmann hatte erst vor Kurzem sein akademisches 
Amt in Gießen schweren Herzens mit dem Ministersessel vertauscht, weil 
er sich verpflichtet hielt der drohenden Anarchie entgegenzuwirken; eine 
milde versöhnliche Natur, mehr Gelehrter als Staatsmann, meinte Grol- 
mann den Landständen „Alles gewährt zu haben, was ihnen ohne offen- 
bare Gefahr einer Republikanisirung gewährt werden könne".) Aber 
diesmal hatte sich der ehrwürdige, in den Anschauungen eines wohl- 
wollenden Absolutismus ergraute Fürst über die Stimmung seines Landes 
gründlich getäuscht. Während der langen Zeit des Wartens war das 
Volk durch zahlreiche Petitionen und Versammlungen aufgeregt worden; 
in den mediatisirten Herrschaften des Odenwaldes hatten sich die hart 
belasteten Bauern den Truppen bei der Eintreibung der Steuern schon 
thätlich widersetzt. Und nun brachte die ersehnte Verfassung, die aller 
Noth ein Ziel setzen sollte, nicht viel mehr als einige Vorschriften über 
den künftigen Landtag. Die gemüthliche patriarchalische Sprache des 
Edikts verfehlte ihren Zweck, da der Inhalt gar so dürftig war. Die 
Rechte der Landstände waren sehr eng bemessen und das Wahlrecht der- 
maßen beschränkt, daß sich im ganzen Staate außer den höheren Staats- 
beamten nur 985 Wählbare fanden. Zu allem Unheil erschien dies 
Grundgesetz in dem nämlichen Augenblicke, da die soeben wieder aus dem 
Grabe steigende spanische Cortesverfassung in den deutschen Zeitungen 
veröffentlicht wurde und das Entzücken der liberalen Welt erregte. „Eine 
Verfassung mit zwei Kammern ist gar keine“ — so hieß es jetzt häufig 
in den süddeutschen Wirthshäusern, wenn auf das Wohl der Cortes und 
  
*) Zastrow's Bericht, 15. Nov. 1820. **) Note des großh. hess. Geschäfts- 
trägers Frhr. v. Senden an Ancillon, 29. März 1820. 
***) Grolmann an Graf Solms-Laubach, 25. März 1820.
	        
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