Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

676 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. 
Regierung nach Cassel und Bonn gesendet worden, um nochmals eine 
Beilegung des ehelichen Zwistes im kurfürstlichen Hause zu versuchen. 
Er hatte sich des undankbaren Auftrags mit erstaunlichem Ungeschick ent— 
ledigt, bei Hruby, dem grimmigen Feinde Preußens, sich belehren lassen 
über die Lage. Das Ende war, daß die beiden Gatten unversöhnlicher 
denn je einander gegenüberstanden, und der Kurfürst in schäumender Wuth 
seinem königlichen Schwager Rache schwur. So geschah es, daß das längst 
verlorene Spiel der Mitteldeutschen noch durch einige Jahre fortgesetzt 
wurde, bis Preußen den Gegnern auch den letzten Stein aus dem Brette 
geschlagen hatte. 
Seit dem Juni 1829 tagte in Cassel abermals der Congreß der Mittel- 
deutschen — ein Bild vollendeter Rathlosigkeit, ohnmächtigen Grolles. 
Alles tobte wider die Verräther in Meiningen und Gotha, die dem Ver- 
eine „ein wichtiges Objekt“ geraubt hatten; man sendete Commissäre hür- 
über, um die beiden Herzöge zu verwarnen. Alles zitterte vor der freien 
preußischen Handelsstraße Hamburg-Nürnberg. Selbst die patriotische 
Hoffnung, daß Dänemark vielleicht den Bau jener Straße hindern werde, 
bot keinen Trost; denn das kleine Stück holsteinischen Gebiets zwischen 
Hamburg und der mecklenburgischen Grenze konnte leider auf der Elbe 
umgangen werden! Der nassauische Bevollmächtigte Röntgen pflegte auch 
dem befreundeten badischen Hofe Bericht zu erstatten über den Gang der 
Verhandlungen. Diese Berichte wurden von Karlsruhe getreulich der 
preußischen Regierung mitgetheilt; man kannte also in Berlin aus erster 
Qrelle die rettungslose Verwirrung des feindlichen Lagers. Schon in einer 
der ersten Sitzungen warf ein Bevollmächtigter die wohlberechtigte naive 
Frage auf: „worin denn eigentlich das materielle Wesen des Vereins be- 
stehe?"““") Man fühlte, daß man „eine Gesammt-Autonomie gründen müsse, 
um die eigene Autonomie zu bewahren". Man verlangte nach einem 
„Gemeingute", das als Unterhandlungsmittel gegen Preußen dienen solle. 
Die Lächerlichkeit eines Zollvereins ohne gemeinsame Zölle begann zwar 
Einzelnen einzuleuchten; selbst Nassau meinte, die Vortheile des freien 
Binnenhandels überwögen unendlich jede Erleichterung des ausländischen 
Verkehrs. Aber, hieß es dawider, „würde der Verein ein wirklicher Mauth- 
verband, so müßten wir schließlich doch preußische Farbe annehmen“! Sechs 
Commissionen wurden gebildet, um im Stile des Bundestags über alle 
erdenklichen Fragen der Verkehrspolitik hin und her zu reden. Absonder- 
liche patriotische Freude erregte der Vorschlag, den 21 Guldenfuß anzu- 
nehmen und also „das preußische Geld zu verdrängen“. 
Von Neuem tauchte der Gedanke auf, mehrere Bünde im Bunde zu 
bilden — zwei, drei oder vier, was verschlug es? Diese politischen Mol- 
lusken ließen sich doch in jede beliebige Form pressen. Hannover wünschte 
  
*) Röntgen's Bericht, 6. Aug. 1829.
	        
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