Jüdische Selbstverhöhnung. 705
und Schafsgeduld, bis sie selber an dies alberne Zerrbild deutschen Wesens
glaubte und sich wirklich einbildete, das leidenschaftlichste Volk Europas,
das Volk der furia tedesca sei phlegmatisch.
In diesen Jahren der Besudelung alles deutschen Wesens erhielt
auch das nationale Scherzbild des deutschen Michels eine neue widerliche
Gestalt. Der deutsche Michel der alten Zeit war, seinem kriegerischen
Namen gemäß, ein gewaltiger Schlagetodt, grob und plump, aber tapfer
und gradezu, ein lebensfroher Gesell, wie John Bull oder Robert Macaire,
nicht unwürdig eines großen Volkes, das an sich selber glaubte und darum
auch einmal über sich selber lachen durfte. Neuerdings wurde in Bild
und Wort unter dem alten Namen ein feiger und fauler Philister dar-
gestellt, der von aller Welt mißhandelt sich die Schlafmütze über die Ohren
zog. Das Spottbild war während der Kämpfe der Romantiker gegen
die Philister aufgekommen, zuerst auf dem Titelblatte der Heidelberger
Einsiedlerzeitung, aber Achim v. Arnim hatte dabei feierlich erklärt, mit
diesem Faulpelz sei nur das wohlhabende lesende Publikum gemeint,
„nicht mein Volk, das ich ehre, mit dem ich nimmermehr zu scherzen
wage“. Das junge radicale Geschlecht kannte solche Scheu nicht mehr
und fand es nicht unehrenhaft, die Nation, welche soeben mit ihrem sieg-
reichen Degen das napoleonische Weltreich gestürzt hatte, unter dem ekel-
haften Bilde eines trägen Feiglings zu verhöhnen.
Die zerreibende und verhetzende Wirksamkeit des radicalen Judenthums
war um so gefährlicher, da die Deutschen sich über den Charakter dieser
neuen literarischen Macht lange täuschten. Sie hielten arglos für deutsche
Aufklärung und deutschen Freisinn was in Wahrheit jüdischer Christen-
haß und jüdisches Weltbürgerthum war. Nur Wolfgang Menzel und
wenige andere Publicisten empfanden die Gefahr, doch da sie sämmtlich
der hochkirchlichen Richtung angehörten, so wurden ihre Warnungen miß-
achtet. Erst in einer weit späteren Zeit erkannte die Nation, daß seit
dem Ende der zwanziger Jahre ein fremder Tropfen in ihr Blut gerathen
war. Es war der Ruhm der Deutschen gewesen, daß sie niemals auf der
Bank der Spötter gesessen hatten, daß ihre freien Köpfe mit Kühnheit, aber
stets mit Ehrfurcht an das Heilige herangetreten waren. Jetzt ging dieser
Ruhm verloren; auch Deutschland sollte Schriften sehen, die sich mit
Voltaire's Frechheit, freilich nicht mit seinem Geiste messen konnten.
Der Ahnherr dieser jüdisch-deutschen Zwitter-Literatur war der Frank-
furter Ludwig Börne, ein im Grunde ehrlicher, weicher, warmherziger
Mann, der durch Schuld und Verhängniß niemals über die geschmacklose
Vermischung deutscher Sentimentalität und jüdischer Witzelei hinauskam,
der zwischen Vaterlandsliebe und Kosmopolitismus haltlos hin und her-
geschleudert, weder einen bestimmten Glauben noch ein wirkliches Volks-
thum zu finden vermochte und schließlich der Roheit eines wüsten, polternden
Radicalismus anheimfiel. In der Zeit einfacher, kräftiger Gesittung
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 45