Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

746 III. 10. Preußen und die orientalische Frage. 
hatten, fortan mehr unter russischem als unter türkischem Einfluß. Zudem 
erlangten die Russen für das Stück der Moldau bis zum Pruth, das sie 
schon im Bukarester Frieden gewonnen hatten, eine kleine, aber sehr werth— 
volle Abrundung; nicht der nördliche, sondern der südliche Arm der Donau 
sollte nunmehr die Grenze bilden, das Donau-Delta wurde russisch. Hoch— 
wichtig und für ganz Europa segensreich ward der siebente Artikel, der 
den Handelsschiffen aller Nationen die freie Fahrt durch den Bosporus 
gestattete. Das Schwarze Meer trat nun erst wieder in den Weltverkehr 
ein; die unnatürliche Mißhandlung, welche sich die hadernde Christenheit 
so lange von dem Halbmond hatte bieten lassen, nahm ein Ende. Zum 
Aerger der Westmächte verfügte der zehnte Artikel, daß die Pforte dem 
Londoner Vertrage beitreten solle; damit gab sich der Czar den Anschein, 
als ob er die Griechen befreit hätte. In Wahrheit war diese Befreiung 
bereits vollzogen. Schon im vorigen Jahre hatte Ibrahim Pascha vor 
einem einrückenden französischen Corps den Peloponnes ohne Schwert- 
streich geräumt; schon im März 1829 waren die drei Londoner Vertrags- 
mächte, obgleich das Cabinet Wellington sich wenig willfährig zeigte, dahin 
übereingekommen, daß Griechenland einen türkischen Tribut-Staat unter 
einem christlichen Fürsten bilden sollte. Thatsächlich genoß das tapfere 
kleine Volk schon der ehrlich verdieunten Unabhängigkeit, vorläufig unter 
der Präsidentschaft des den Engländern hochverdächtigen Kapodistrias, und 
die Frage war nur noch, ob Englands Kleinsinn diesem werdenden Staate 
genügende Grenzen gönnen würde. 
Mit gerechtem Selbstgefühl schrieb Bernstorff in diesen Tagen: wir 
hegen nicht die Pläne des Ehrgeizes, die man uns zutraut, aber wir 
beanspruchen das Recht, eine offene, gerade, selbständige Politik zu ver- 
folgen. Ueberall in der Welt hob sich Preußens Ansehen, seit das Ein- 
schreiten des Königs den drohenden Weltkrieg abgewendet hatte. Alle 
unbefangenen Zeitgenossen erkannten dies Verdienst an, die meisten Höfe 
sendeten Dank= und Glückwunschschreiben nach Berlin. Erst in weit späterer 
Zeit, als der Russenhaß der Polen und die Russenfurcht David Urquhart's 
das Geschichtsurtheil des Liberalismus verfälschten, bildete sich das Partei- 
märchen, der König von Preußen habe lediglich seinen Schwiegersohn vor 
der sicheren Niederlage retten wollen. Friedrich Wilhelm faßte aber seinen 
Entschluß schon im Juni, in einem Augenblicke, da die militärische Lage 
des russischen Heeres sehr günstig war, und nicht um Rußlands willen 
schritt er ein, sondern weil er sein Deutschland vor einem unfruchtbaren 
und unheilvollen Kriege bewahren wollte. 
Unmittelbar nach dem Frieden zeigten sich nur zwei Mächte ver- 
stimmt: der französische Radicalismus und der Wiener Hof. Die Pariser 
Blätter beklagten laut, daß der Weltkrieg und die Eroberung der natür- 
lichen Grenzen nunmehr vereitelt sei; sie bewiesen damit nur, wie richtig 
Preußen gehandelt hatte. Die Hofburg aber erntete jetzt, was sie in
	        
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