Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

102 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
suchung nachher ungründlich geführt, manche wichtige Zeugen gar nicht 
vernommen wurden. Der Handstreich der wenigen konnte offenbar nur 
gelingen, weil das ganze Land den Herzog verwünschte. Die vollbrachte 
Tat erschien allen als ein Gottesgericht, obwohl man ihre Roheit tadelte. 
Wohl hatte sich seit der großen Woche der Pariser überall in der Welt 
der Wahn verbreitet, daß die Masse im Straßenkampfe unbesiegbar sei; 
alle Zeitungen wiederholten beständigden Ausspruch, welchen einst Napoleon 
auf Grund der spanischen Erfahrungen seiner Marschälle getan haben 
sollte: wehe dem General, der sich in der Enge der Gassen auf ein 
Gefecht einläßt. Aber Furcht war es nicht, was den Offizieren der 
ruhmreichen schwarzen Schar die Hände lähmte, sondern Haß und Ver— 
achtung. Dürfen wir Bürgerblut vergießen, um einem Elenden, der uns 
feige verlassen hat, sein Schloß zu behüten? — dies Bedenken drängte 
sich allen auf und stimmte sie unsicher gegenüber einem weder mutigen 
noch zahlreichen Meutererhaufen. Berechneter Verrat der Offiziere ist 
nie erwiesen worden, und es bedarf auch dieses Verdachtes nicht, um die 
schlechte Haltung der Truppen zu erklären. 
In den Trümmern des Schlosses — das fühlte jedermann — hatte 
Karls Herrschaft ihr Grab gefunden, und als nun gar einiges aus den 
geraubten Briefschaften und dem schwarzen Buche des Herzogs veröffent— 
licht wurde, da ward die Rückkehr des Vertriebenen ganz unmöglich. Die 
erbaulichen Geständnisse dieser schönen Seele — wie Metternich seinen 
welfischen Liebling einmal nannte — gingen von Mund zu Mund, die 
kleinstädtische Klatscherei schwelgte in gräßlichen Erfindungen, und der 
leere knabenhafte Tor galt bei seinem ergrimmten Völkchen bald für einen 
Wüterich und Giftmischer. Sobald man des Verhaßten ledig war, kehrte 
die Ordnung sogleich zurück. Die Bürgerwehr prunkte in den Straßen 
umher, jetzt nach Pariser Muster mit Flinten bewaffnet, unter der Füh- 
rung des gefeierten Volksmannes Bankier Löbbecke, und je unschuldiger 
diese Philister an dem Schloßbrande waren, um so kühner prahlten 
sie mit ihrer Revolution. Paris, Brüssel und Braunschweig bildeten 
das Dreigestirn der neuen Völkerfreiheit, der Branntweinbrenner Götte, 
der den Herzog um die Wegführung der Pulvervorräte gebeten hatte, 
hieß mindestens ein halber Lafayette. General Herzberg wurde durch 
das Geschenk eines bürgerlichen Ehrensäbels dafür getröstet, daß die 
preußischen Kameraden ihn mit sehr zweifelhaften Blicken betrachteten; 
denn „der heutige Soldat“ — so versicherte eine braunschweigische Flug- 
schrift — „ist nicht mehr der durch den Stock zum blinden Gehorsam 
dressierte Vagabunde des vorigen Jahrhunderts“. Ein Bürgergardist drohte 
dem Herzoge in einem offenen Briefe: 200 000 Braunschweiger würden 
sich lieber unter dem Schutte ihrer Häuser begraben, als sich unter die 
Tyrannei eines zweiten Don Miguel begeben; ein anderer pries in einer 
Abhandlung „den freiwilligen Gehorsam“ als den eigentümlichen Vorzug
	        
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