158 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
gar nichts fand er an dem Bestehenden tadelnswert, selbst von einer
Bevorzugung des Adels wollte er nichts bemerken, obgleich „unsere Minister
jetzt zufällig Edelleute sind“. Zum Schluß druckte er eine Ode aus der
Zeit des Wiener Kongresses ab, worin ihm „ein vornehmer und vereh—
rungwürdiger deutscher Dichter“ nachrühmte: er habe
Der Sultanismus-Wut den Stab gebrochen,
Und deine Sprache war der Freiheit Talisman.
Grollend zog er sich in sein schönes Derneburg zurück, wo eine Marmor—
tafel über der Tür der alten Klosterkirche dem Besucher verkündigte,
daß diese Herrschaft dem Grafen Münster für seine Verdienste um das
Vaterland geschenkt worden sei. Gneisenau und die alten Kampfgenossen
aus den napoleonischen Zeiten bewahrten dem stolzen Manne, der immer—
hin hoch über dem Mittelmaße deutscher Kleinminister stand, allezeit ihre
Freundschaft; er selber lebte fortan zumeist der Erinnerung an jene
größten Tage seines Lebens und gestattete zum Schrecken der Rheinbunds-
höfe dem Bayern Hormayr, im Derneburger Archive den Stoff zu sam—
meln für die „Lebensbilder aus den Befreiungskriegen“.
Auch nach Münsters Sturz blieb es bei der alten Regel, daß die
Minister zufällig immer Edelleute waren, und die Arbeitslast von den
bürgerlichen Geheimräten getragen wurde. Zwei bürgerliche Beamte,
die der Vizekönig zu Ministern ernennen wollte, lehnten ab, weil sie eine
so kühne Neuerung nicht für durchführbar hielten. Während der nächsten
Jahre behielt der kluge und wohlmeinende Kabinettsrat Rose die Leitung
der Geschäfte, nur lau unterstützt von seinen adligen Vorgesetzten. Der
alte Landtag wurde im März nochmals einberufen; jetzt zum ersten Male
errang sich diese sonst so gering geschätzte Versammlung die Teilnahme des
Volkes, da viele Städte ihren trägen Vertretern das Mandat gekündigt
und liberale Abgeordnete neu gewählt hatten. Indessen überwog auch
jetzt noch der konservative Sinn der Niedersachsen. Auf Stüves Antrag
verlangte der Landtag die Vereinbarung über eine neue Verfassung, welche
auf dem gegebenen Rechte beruhen, aber das Bestehende weiter ent—
wickeln sollte.
Demgemäß wurde durch Rose, unter Dahlmanns Mitwirkung, ein
Verfassungsentwurf ausgearbeitet, vom Könige genehmigt und dann im
November einer Kommission vorgelegt, die aus Vertretern der Regierung
und des Landtags bestand. Die Beratungen währten drei Monate;
denn unter den Kommissären der ersten Kammer befand sich neben dem
hochkon servativen General v. d. Decken auch Münsters Neffe, Freiherr
Georg von Schele, der langjährige Führer der Junkerpartei, der noch
immer in seinen „Landesblättern“ gegen alles konstitutionelle Wesen
einen grimmigen Federkrieg führte. Der unermüdliche Vermittler Frei-
herr von Wallmoden bedurfte seiner ganzen gewinnenden Überredungs-
kunst, um diese Feudalen mit den Ansichten Stüves und der anderen