Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Revolution in Brüssel. 35 
Konvents vom Jahre IV der Republik, das die belgischen Departements 
mit Frankreich vereinigt hat, besteht noch immer zu Recht. Die Mehr— 
heit der Belgier wies diese Anschläge weit von sich. Darum wurden 
auch die republikanischen Pläne, mit denen de Potter sich trug, kurzerhand 
abgelehnt; denn nur durch Frankreichs Hilfe, nur durch einen Weltkrieg 
konnte sich vielleicht die Republik behaupten, nur unter dem Schutze einer 
monarchischen Verfassung durften die Belgier auf die Zustimmung der 
großen Mächte hoffen. Schon zu Anfang Novembers faßte der neube— 
rufene nationale Kongreß die verständigen, durch die Lage der Dinge ge— 
botenen Beschlüsse: Unabhängigkeit, Monarchie, Lossagung vom Hause 
Oranien. 
So errang sich dies mehr durch die kirchliche Gesinnung als durch 
das Bewußtsein politischer Gemeinschaft zusammengehaltene kleine Volk 
das Recht der Selbstbestimmung. Die liberale Welt hatte anfangs dem 
Aufstande mißtrauisch zugesehen, da sein Ursprung unklar war und 
der belgische Pöbel sich in argen Roheiten erging. Nach dem blutigen 
Brüsseler Straßenkampfe schlug das Urteil gänzlich um. Auch Brüssel 
hat seine drei Tage und seine drei Farben! — schrieb frohlockend 
Ed. Gans, und seine Gesinnungsgenossen in der liberalen deutschen 
Presse entdeckten mit wachsender Bewunderung Zug für Zug immer neue 
Ahnlichkeiten zwischen Belgien und dem Musterlande der Freiheit: sie 
nannten de Potter den belgischen Lafayette, Jouvenels Brabançonne die 
belgische Marseillaise. Drei Farben, drei Tage, Lafayette, Marseillaise 
— was brauchte ein Volk mehr, um glücklich zu sein? und wer außer 
den entmenschten Schergen der Tyrannei konnte jetzt noch bestreiten, daß 
die Sonne über Europa im Westen aufging? — 
  
Die so lange niedergehaltenen Parteien der deutschen Opposition 
atmeten fröhlich auf, als die erste Kunde von der großen Woche über 
den Rhein drang. Heinrich Heine nahm der radikalen Jugend das Wort 
von den Lippen, da er in übermütigem Jubel die Pariser Zeitungen als 
in Papier gewickelte Sonnenstrahlen begrüßte: „Lafayette, die dreifarbige 
Fahne, die Marseillaise — fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich 
weiß jetzt wieder, was ich will, was ich soll, was ich muß. Ich bin der 
Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, worüber 
meine Mutter ihren Zaubersegen ausgesprochen. Blumen, Blumen! Ich 
will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Ich bin ganz Freude und 
Gesang, ganz Schwert und Flamme!“ Mächtig wie die Freude im libe- 
ralen Lager war der Schrecken an den großen Höfen. Mit wachsender Be- 
sorgnis waren sie sämtlich den vermessenen Unternehmungen Polignacs 
gefolgt; eine so furchtbare Erschütterung, die das ganze mühsame Friedens- 
werk der Wiener Verträge wieder in Frage stellte, kam ihnen doch allen 
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