Tieck. Sealsfield. 451
er vom Tode ereilt (1840), einer der wenigen Künstler, von denen sich
menschlicherweise mit Sicherheit sagen läßt, daß sie zu früh starben.
Noch stärker als Immermann fühlte sich Tieck durch das Junge
Deutschland abgestoßen. Einige der jungen Leute hofften anfangs, der
alte Herr würde sich ihnen anschließen, weil sie für die Lucinde schwärmten.
Er aber sah in ihrem Treiben nur eine schwächliche Nachahmung der Stark-
geisterei seiner Jugendjahre und tadelte insbesondere ihre doktrinäre Hal-
tung; denn „nichts ist mir mein Leben lang verhaßter gewesen, als der ab-
sprechende Ton des Systems, der mit allem fertig ist“. Darum ward er
von den Jungdeutschen bald als Finsterling verrufen und sehr roh an-
gegriffen. Er rächte sich, indem er in mehreren seiner Novellen — in
Eigensinn und Laune, im Liebeswerben u. a. — die deutschen Radikalen
wie ein Gesindel von Gaunern und Lumpen darstellte. Ein reinerer Stil
ließ sich in diesen späteren Novellen nicht verkennen. Der Greis spielte
nicht mehr ironisch mit seinen Gestalten; seine Ironie war jetzt nur noch,
wie er es so oft verlangt, aber selten befolgt hatte, „die Kraft, die den
Dichter über dem Stoffe erhält“. Dafür zog freilich durch manche Werke
seines Alters ein kühler Hauch, der die Leser nicht recht froh werden ließ.
Sonst ragte als erzählender Dichter nur noch einer über die Un-
zahl der Unterhaltungsschriftsteller empor: Charles Sealsfield, ursprünglich
Postel geheißen, ein mährischer Mönch, der, aus dem Kloster entflohen,
nachher lange in Amerika umherzog und sich auch das seltsame Kauder-
welsch der Deutschamerikaner aneignete. Seine Romane: „die Legiti-
misten“ und „der Virey“ führten unsere Poesie zum ersten Male in den
fernen Westen, in jene Kultur= und Rassenkämpfe Amerikas, an denen
schon so viele Deutsche teilnahmen. Durch die brennende Pracht seiner
tropischen Landschaftsbilder und die Energie der Charakterzeichnung über-
traf er Cooper bei weitem, doch in allen seinen Schriften arbeitete eine
fieberische Unruhe, die der Masse der Leser unbequemer war als die Breite
des Amerikaners. An solchen ungeschulten starken Talenten läßt sich der
Geist einer Epoche am sichersten erkennen; Sealsfields Schriften bewiesen,
wie unaufhaltsam die Zeit dem Realismus zudrängte.
Dies bewährte sich auch an den Zuständen des Theaters. In hellen
Haufen drangen die Lustspiele Scribes und der anderen Pariser Boule-
vardsdichter über den Rhein. Das deutsche Publikum war noch von der
Weimarischen Bühne her an ein ästhetisches Weltbürgertum gewöhnt und
zudem jetzt für Frankreichs Freiheit begeistert. So ließ man sich denn die
stümperhaften Übersetzungen wohl gefallen; man lachte über feine Anspie-
lungen, die nur an der Seine ganz verstanden werden konnten; man nahm
es hin, daß manche einem Pariser Schauspieler auf den Leib geschriebene
Rolle dem deutschen Nachahmer häßlich anstand — und das alles nur,
weil diese leichten Stücke doch ein Bild des wirklichen Lebens gaben. Von
alters her lag die Stärke der deutschen dramatischen Kunst in der Kraft
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