Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

482 IV. 7. Das Junge Deutschland. 
breitung. Seine Sonne leuchtete noch, als sie längst am Horizonte ver— 
sunken war. Hegels alter Freund Altenstein beklagte tief, „welcher Stern 
erster Größe für die Welt untergegangen“ sei, und wollte nun mindestens 
der Lehre des Verstorbenen die Herrschaft auf den preußischen Hochschulen 
sichern. Umsonst verlangten der Kronprinz und seine romantischen Freunde, 
unterstützt von den Brüdern Humboldt, daß Schelling als der einzige 
ebenbürtige Nachfolger auf den verwaisten Berliner Lehrstuhl berufen 
würde. Der Minister und sein getreuer Johannes Schulze widerstanden 
hartnäckig, denn Schelling hatte sich seit Jahren von dem Freunde seiner 
Jugend getrennt und soeben erst öffentlich ausgesprochen, das Hegelsche 
System sei ein Rückfall in die Scholastik, eine wenig fruchtbare Episode 
der deutschen Philosophie. Altenstein hielt sich von Amts wegen verpflichtet, 
in der Kirche den wahren Glauben, in der Wissenschaft den reinen Be- 
griff zu beschützen; er erklärte dem Könige (1835): „In den preußischen 
Staaten hat schon ein tiefer begründetes philosophisches System dem an- 
maßlichen unheiligen Treiben ein Ende gemacht. Für eine andere Philo- 
sophie kann das Ministerium die Bürgschaft nicht übernehmen, besonders 
nicht für die Schellingsche.“ Nach langen Verhandlungen berief man 
endlich „die verhängnisvolle Gabel“, wie Alexgander Humboldt spottete: 
den Bayreuther Rektor Gabler, einen trockenen, hochkonservativen Hege- 
lianer, der auf jedes Wort des Meisters schwor und einen Widerspruch 
zwischen der Identitätsphilosophie und der christlichen Offenbarung nirgends 
zu entdecken vermochte. Niemand sprach mehr von ihm, sobald die erste 
Überraschung verwunden war. 
Durch diese lächerliche Berufung wurde Hegels Lehre förmlich als 
preußische Staatsphilosophie anerkannt. Seine sämtlichen Werke gab 
Johannes Schulze im Vereine mit Gans, Hotho u. a. heraus, und die 
Sammlung fand unzählige Bewunderer. Im Auslande fühlten sich 
namentlich die vornehmen Russen und Polen von der gewaltigen Selbst- 
gewißheit dieses Systems angezogen, weil ihre Halbbildung nach einer 
festen Autorität verlangte. Unterdessen bemühten sich die Schüler, das 
Lehrgebäude in allen seinen Teilen auszubauen; mit heiligem Eifer, im 
Bewußtsein einer weltgeschichtlichen Aufgabe, schritten sie ans Werk, denn 
nicht umsonst hatte ihnen der ehrlich begeisterte alte Lützower Fritz Förster 
am Grabe des Meisters zugerufen: der Alexander der Wissenschaft sei 
dahin, nun sollten seine Generale sich als Diadochen in sein Reich teilen. 
Die Universalität des Systems und seine in alle Sättel gerechte Methode 
erleichterten in der Tat die Arbeitsteilung. Der bescheidenste aller 
Hegelianer, Karl Rosenkranz in Königsberg, ein edler, um die humane 
Bildung Altpreußens hochverdienter Mann, führte die psychologischen und 
ästhetischen Untersuchungen Hegels weiter, während der Schwabe Friedrich 
Vischer in seinen ästhetischen Abhandlungen neue, aus der Fülle des an- 
geschauten Lebens gewonnene Gedanken aussprach, die nur darum nicht
	        
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