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Unterdessen betrieb die deutsche Polizei unverdrossen den Vernichtungs-
krieg gegen die daheim gebliebenen Demagogen. Das Paßwesen, das einst
die Jakobiner zuerst als eine Waffe gegen politische Feinde benutzt hatten,
erlangte durch die Gegner der Revolution seine höchste Ausbildung; selbst
die Lohnkutscher durften keinen Reisenden mehr befördern, wenn er sich
nicht über seine Person auswies. Überall spürten geheime Agenten und
fahndeten auf verdächtige Briefe, auf dreifarbige Abzeichen, zuweilen auch
auf republikanische Vollbärte. In Bayern, dessen geheime Polizei von dem
Kabinettsrat Grandauer ihre Weisungen empfing, wurden einmal zwei
solcher Leute zu gleicher Zeit als gemeine Betrüger entlarvt. Ein Bun-
desbeschluß (1836) verpflichtete alle Regierungen, feindseligellnternehmungen
gegen den Bund als Hochverrat zu bestrafen und einander gegenseitig
die politischen Verbrecher auszuliefern. Nachdem die letzte radikale Zei-
tung, die Neckarzeitung in Stuttgart unterdrückt war, ging man gegen die
Bücher vor; die freie Stadt Frankfurt verbot sogar Sismondis Unter-
suchungen über die Verfassung freier Staaten.
In der Anarchie dieses Staatenbundes konnte es gleichwohl nicht aus-
bleiben, daß die Zensoren nach sehr verschiedenen Grundsätzen verfuhren;
und wenn Verfasser und Verleger sich den Zensurvorschriften unterworfen
hatten, dann blieben sie, nach § 7 des Karlsbader Preßgesetzes, „von aller
weiteren Verantwortung frei.“ Als nun die kurhessische Zensur eine sehr
radikale „Petition deutscher Bürger gegen die Preßsklaverei“ unbeanstandet
durchgelassen hatte, da behauptete Blittersdorff im Bundestage (1834):
jene Vorschrift des Preßgesetzes besage lediglich, daß der Bund die Schul-
digen nicht mehr zur Verantwortung ziehen dürfe; den Landesregierungen
stehe immer noch frei, die Verfasser zensierter Schriften vor Gericht zu
stellen. Die Mehrzahl der Bundesgesandten, auch der bayrische, stimmte
dieser ungeheuerlichen Auslegung zu. Da erklärte der Präsidialgesandte
mit überraschender Ehrlichkeit: zu einem solchen Schlusse sei „nur mittels
einer gründlichen und weitläufigen Deduzierung zu gelangen“. Der
Wiener Hof verlangte mehr: er wollte durch ein förmliches neues Bundes-
gesetz alle Schrecken der Zensur und der gerichtlichen Verfolgung, der Prä-
vention und der Repression zugleich über die deutschen Schriftsteller ver-
hängen. Dazu konnten sich die Mittelstaaten doch nicht entschließen; sie
halfen sich nach alter Gewohnheit, ihre Instruktionen blieben aus, und
ein Bundesbeschluß kam nicht zustande. Die Selbstgenügsamkeit des
alten Beamtenstaates verschmähte aber auch, den Liberalismus durch kleine
volkstümliche konservative Blätter zu bekämpfen, wie Otterstedt dem preu-
ßischen Hofe vorschlug. Die Regierungen meinten genug zu tun, wenn
sie die Zensur kräftig handhabten und ihre langweiligen, wenig gelesenen,
vornehmen Staatszeitungen erscheinen ließen.)
*) Otterstedt, meine Wahrnehmungen von dem Wartburgfeste bis zum heutigen
Tage. Dem Könige übersendet 14. April 1833.