Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

110 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
Nun kam noch die Nachricht, daß die englisch-österreichische Flotte 
den Angriff gegen die Küstenplätze Syriens begonnen und die Wider- 
standskraft der Agypter sich weit schwächer gezeigt hatte, als man in 
Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Ministers hoch 
auf; besser im Rheine als in der Gosse sterben, rief er zornig. Er ver- 
langte im Ministerrate, ohne durchzudringen, die sofortige Absendung 
der Flotte zum Schutze von Alexandria?), und redete in seinen Depeschen, 
als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der 
Bund der vier Mächte, so ließ er sich vernehmen, „ähnele nur zu sehr 
jenen Koalitionen, welche seit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt 
hätten“, und habe bereits den segensreichen Bund der Westmächte zer- 
stört. „Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und 
der Elbe! Fraget sie, und sie werden antworten, daß dieser Bund seit 
zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten 
hat, ohne der Freiheit der Völker zu schaden.““*) Dabei hütete er sich 
noch immer, die diplomatischen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den 
Chartisten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Gesandtschaft radikaler 
Briten nach Paris kam, weigerte er sich zu empfangen, weil ihm der 
englische Gesandte sagte, man werde dies in London übel aufnehmen.) 
Als aber die Kammern sich wieder versammelten, riet Thiers dem Könige, 
stolz aufzutreten und in der Thronrede zu sagen: er werde dem Frieden 
nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na- 
tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern. 
Diesen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet, um sich des 
verhaßten Ministers zu entledigen. Er verweigerte seine Zustimmung zu 
der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 29. Okt. 
bildete Guizot ein neues Kabinett, in der erklärten Absicht, die Versöh- 
nung mit den vier Mächten herbeizuführen.y) Der Bürgerkönig ver- 
leugnete all diese Zeit über seine Friedensseligkeit niemals und gestand 
bereits im September dem preußischen Geschäftsträger: ich betrachte den 
Kriegslärm als ein Mittel, um die längst nötige Vermehrung des Heeres 
und die Befestigung von Paris durchzusetzen. Dies embastillement de 
Paris — wie die Radikalen spotteten — hatte schon vor einem Viertel- 
jahrhundert der Kaiser F Franzden Bourbonen anempfohlen; Ludwig XVIII. 
war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue seiner Franzosen 
sicher zu sein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf: 
  
*) Werther d. J., Pariser Berichte. 6. 11. Okt. 1840. 
**) Thiers an Gujizot, 3. Okt., an Bresson, 9. Okt. 1840. 
**) Werther d. J., Pariser Bericht 17. Okt. 1840. 
)Die Behauptung H. Wageners (die Politik Friedrich Wilhelms IV. S. 28), 
daß der König von Preußen durch Absendung des Generals Dohna die friedliche Wen- 
dung der französischen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf 
Dohna war 1840 gar nicht in Paris, sondern i. J. 1837, Zzum Besuche der Manöver.
	        
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