Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Ergebnisse des Meerengenvertrags. 119 
Das mußte Brunnow erfahren, als er während der Londoner Konferenzen 
bei Wellington anklopfte, ob England und Rußland sich nicht in Freund- 
schaft über ihr asiatisches Machtgebiet verständigen könnten. Weder Palmer- 
ston noch der eiserne Herzog wollte sich auf solche Verhandlungen ein- 
lassen; denn augenblicklich drang England überall auf asiatischem Boden 
siegreich vor, in Syrien, in Afghanistan, in China, derweil die Russen 
gegen Chiwa einen unglücklichen Feldzug führten, und sich für die Zukunft 
die Hände zu binden, widersprach allem englischen Brauche.*) Also war 
der Zar mit Frankreich verfeindet, mit England und der Pforte nur 
lose verbunden, von der Hofburg beargwöhnt und selbst der preußischen 
Freundschaft nicht mehr so sicher wie vormals. 
Auch England erfreute sich keines ungetrübten Triumphes. Seine 
Herrschaft im Mittelmeere war freilich von neuem gesichert; aber Palmer- 
stons schnödes Verfahren hatte die Franzosen dermaßen aufgebracht, daß 
Ludwig Philipp den Lord geradezu als den Urheber des französischen Miß- 
geschicks bezeichnete, und selbst in Guizots kaltem Herzen ein Stachel zurück- 
blieb. Eine Vergeltung konnte also sehr bald eintreten; der jetzt von den 
Torys selbst für unentbehrlich gehaltene Bund der Westmächte war nur 
notdürftig wiederhergestellt. Auf Frankreichs inneren Frieden wirkten die 
orientalischen Händel wahrhaft verderblich ein. Was man auch zur Be- 
schwichtigung sagen mochte, die Nachgiebigkeit Ludwig Philipps in einer 
Sache, wo er doch keineswegs unrecht hatte, erschien nach so lauten und 
anhaltenden Kriegsdrohungen wie eine Demütigung Frankreichs. Die 
Deutschen vermochten trotz ihrer Friedfertigkeit den Spott doch nicht ganz zu 
verbeißen; als Thiers bald nach dem Meerengenvertrage durch Berlin kam, 
sangen die Studenten vor seinen Fenstern: sie sollen ihn nicht haben! Un- 
möglich durfte eine ehrgeizige Nation, die von jeher gewohnt war, die auswär- 
tige Politik mit argwöhnischer Wachsamkeit zu verfolgen, eine solche Nieder- 
lage verzeihen. Guizot handelte klug und verständig, da er einem hoffnungs- 
losen Kampfe auswich; allein nicht jederzeit ist Mäßigung die höchste Tugend 
des Staatsmannes, nicht jederzeit ist ihm erlaubt, die Vorurteile seiner Na- 
tion zu mißachten. Der Schimpfname „Ministerium des Auslandes“, der 
schon so vielen verhaßten Kabinetten beigelegt und immer wieder rasch ver- 
gessen worden war, blieb an Guizots Regierung haften; denn ganz sinnlos 
war er diesmal nicht. Durch die Gunst des Königs und die Machtmittel 
amtlicher Wahlbeherrschung behauptete sich das Friedensministerium viele 
Jahre hindurch am Ruder; im Volke ward es nie beliebt. Die Fran- 
zosen wußten nunmehr, daß die Orleans kein Herz für die Ehre des 
Landes besaßen, und einen solchen Makel konnte eine illegitime Dynastie 
schwerlich ertragen. Der Meerengenvertrag ward ein Nagel zum Sarge 
des Juli-Königtums. 
  
*) Bülows Bericht, 27. Nov. 1810.
	        
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