Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Friedrich Wilhelms Anschauung vom Königtum. 7 
jedermann nach Freiheit, niemand lauter als der neue König. Aber vor 
allen wollte er selber frei sein, um auf den Höhen des Lebens sich aus— 
zuleben, die Fülle seiner königlichen Weisheit und Gestaltungskraft zu be— 
tätigen. Er glaubte an eine geheimnisvolle Erleuchtung, die den Königen 
vor allen anderen Sterblichen durch Gottes Gnade beschieden sei; er hegte 
ein warmes Zutrauen zu den Menschen und meinte die Zeit zu verstehen, 
weil er allem Schönen und Großen, was sie bot mit feinsinniger Empfäng— 
lichkeit, gefolgt war. Darum dachte er kraft seiner königlichen Vollgewalt 
seinem geliebten Volke mehr wahre Freiheit zu schenken, als jemals eine 
geschriebene Verfassung gewähren könne. 
Friedrich Wilhelm hatte das fünfundvierzigste Lebensjahr fast erreicht, 
und seine gedunsene Gestalt mit den geistreichen, aber schlaffen, bartlosen Ge— 
sichtszügen erschien trotz der jugendlich unruhigen Bewegungen schon etwas 
gealtert. Wie viel hatte er auch schon erlebt in diesen langen Jahren des 
Wartens, welche Huldigungen waren ihm zu teil geworden von jenen 
fernen Tagen an, da die alte Albertina den dreizehnjährigen Knaben zu 
ihrem Rektor erwählte, und am letzten Geburtstage seiner Mutter „des Vater- 
landes blühende Hoffnung“ durch eine Denkmünze geehrt wurde, bis herab 
zu den späteren Zeiten, da Goethe weissagte, dies große Talent müsse neue 
Talente wecken, und jedermann die Geisteshoheit des Kronprinzen bewun- 
derte. Seit langem schon führte er den Vorsitz im Staatsrate wie im Mi- 
nisterium und glaubte daher das ganze Getriebe des Staats zu übersehen. 
Sein Vater sorgte jedoch mit seinem schlichten Menschenverstande dafür, 
daß diese einem Thronfolger wenig angemessene glänzende Stellung nicht 
zu einer Mitregentschaft entartete. Der alte König war in seinem Hause 
weit mehr der Herr als im Staate; seine Kinder blickten zu ihm alle empor 
mit jener scheuen Ehrfurcht, welche ernste, wortkarge Bäter selbst begabteren 
Söhnen einzuflößen wissen. Der politische Einfluß des Kronprinzen reichte 
nicht sehr weit. Einzelnen Personen, zumal rechtgläubigen Geistlichen 
konnte er wohl durch seine Fürsprache vorwärts helfen; auch die wenig 
erheblichen Verhandlungen mit den Provinzialständen blieben fast aus- 
schließlich seiner Leitung überlassen. Aber alle entscheidenden Beschlüsse 
faßte der alte Herr so ganz nach eigenem Ermessen, daß der Thronfolger 
seine Ohnmacht bald sehr schmerzlich empfand und einen stillen, beständig 
wachsenden Groll gegen das alte Regiment faßte. 
Er haßte nicht nur die bureaukratische Formenstrenge, die er als 
„Diener-Anmaßung“ abzufertigen liebte, ohne ihre großen Vorzüge zu 
würdigen; er verabscheute noch mehr den ganzen Geist dieser Regierung, 
der ihm von der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts nur wenig 
abzuweichen schien. Wenn er als Kronprinz in Charlottenhof dicht unter 
dem Hügel von Sanssouci weilte, in der rosenumrankten Villa, die ihm 
der Vater geschenkt und Schinkel mit italienischer Anmut ausgeschmückt 
hatte, dann verglichen die Gäste zuweilen in erregten Gesprächen Ver-
	        
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