Friedrich Wilhelms Anschauung vom Königtum. 7
jedermann nach Freiheit, niemand lauter als der neue König. Aber vor
allen wollte er selber frei sein, um auf den Höhen des Lebens sich aus—
zuleben, die Fülle seiner königlichen Weisheit und Gestaltungskraft zu be—
tätigen. Er glaubte an eine geheimnisvolle Erleuchtung, die den Königen
vor allen anderen Sterblichen durch Gottes Gnade beschieden sei; er hegte
ein warmes Zutrauen zu den Menschen und meinte die Zeit zu verstehen,
weil er allem Schönen und Großen, was sie bot mit feinsinniger Empfäng—
lichkeit, gefolgt war. Darum dachte er kraft seiner königlichen Vollgewalt
seinem geliebten Volke mehr wahre Freiheit zu schenken, als jemals eine
geschriebene Verfassung gewähren könne.
Friedrich Wilhelm hatte das fünfundvierzigste Lebensjahr fast erreicht,
und seine gedunsene Gestalt mit den geistreichen, aber schlaffen, bartlosen Ge—
sichtszügen erschien trotz der jugendlich unruhigen Bewegungen schon etwas
gealtert. Wie viel hatte er auch schon erlebt in diesen langen Jahren des
Wartens, welche Huldigungen waren ihm zu teil geworden von jenen
fernen Tagen an, da die alte Albertina den dreizehnjährigen Knaben zu
ihrem Rektor erwählte, und am letzten Geburtstage seiner Mutter „des Vater-
landes blühende Hoffnung“ durch eine Denkmünze geehrt wurde, bis herab
zu den späteren Zeiten, da Goethe weissagte, dies große Talent müsse neue
Talente wecken, und jedermann die Geisteshoheit des Kronprinzen bewun-
derte. Seit langem schon führte er den Vorsitz im Staatsrate wie im Mi-
nisterium und glaubte daher das ganze Getriebe des Staats zu übersehen.
Sein Vater sorgte jedoch mit seinem schlichten Menschenverstande dafür,
daß diese einem Thronfolger wenig angemessene glänzende Stellung nicht
zu einer Mitregentschaft entartete. Der alte König war in seinem Hause
weit mehr der Herr als im Staate; seine Kinder blickten zu ihm alle empor
mit jener scheuen Ehrfurcht, welche ernste, wortkarge Bäter selbst begabteren
Söhnen einzuflößen wissen. Der politische Einfluß des Kronprinzen reichte
nicht sehr weit. Einzelnen Personen, zumal rechtgläubigen Geistlichen
konnte er wohl durch seine Fürsprache vorwärts helfen; auch die wenig
erheblichen Verhandlungen mit den Provinzialständen blieben fast aus-
schließlich seiner Leitung überlassen. Aber alle entscheidenden Beschlüsse
faßte der alte Herr so ganz nach eigenem Ermessen, daß der Thronfolger
seine Ohnmacht bald sehr schmerzlich empfand und einen stillen, beständig
wachsenden Groll gegen das alte Regiment faßte.
Er haßte nicht nur die bureaukratische Formenstrenge, die er als
„Diener-Anmaßung“ abzufertigen liebte, ohne ihre großen Vorzüge zu
würdigen; er verabscheute noch mehr den ganzen Geist dieser Regierung,
der ihm von der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts nur wenig
abzuweichen schien. Wenn er als Kronprinz in Charlottenhof dicht unter
dem Hügel von Sanssouci weilte, in der rosenumrankten Villa, die ihm
der Vater geschenkt und Schinkel mit italienischer Anmut ausgeschmückt
hatte, dann verglichen die Gäste zuweilen in erregten Gesprächen Ver-