Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

170 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
mit den preußischen Schwägern.“) So unschuldig dachte die deutsche Welt 
jedoch nicht mehr. Die Königsberger Zeitung forderte stürmisch die Be- 
festigung Ostpreußens und sprach von einem möglichen Kriege gegen Ruß- 
land so deutlich, daß der russische Gesandte angewiesen wurde, sich über 
die Milde der preußischen Zensur zu beschweren. Unter solchen Umständen 
hielt Friedrich Wilhelm für ratsam, der silbernen Hochzeit des russischen 
Kaiserpaares im Juni 1842 selber beizuwohnen. Das Familienfest ver- 
lief in guter Freundschaft, Kaiserin Charlotte bemühte sich redlich, die 
beiden Schwäger in heiterer Stimmung zu erhalten. Doch unterdessen 
spielten hinter den Kulissen unerquickliche politische Verhandlungen. 
Die für Preußen so lästige, für Rußland so vorteilhafte Kartellkonven- 
tion war dem Ablaufe nahe, und die Königsberger Kaufmannschaft bat den 
König, den Vertrag nicht zu erneuern, worauf ihr der herrische, an Ro- 
chows Zeiten erinnernde Bescheid zuging: solche politische Fragen lägen 
über den Gesichtskreis der Untertanen hinaus. Indessen empfand Fried- 
rich Wilhelm selbst, wie berechtigt die Klagen seiner Ostpreußen waren. 
Er nahm die Kabinettsräte Uhden und Müller nach Petersburg mit, um 
in vertraulichen Unterhandlungen eine Milderung der Grenzsperre durch- 
zusetzen, und unterstützte beide mit der ganzen Macht seiner Beredsam- 
keit.) Ein befriedigender Abschluß wurde noch nicht erreicht, obgleich der 
Zar seinem königlichen Gaste zu Ehren die nach Sibirien verbannten 
preußischen Schmuggler begnadigte, und man trennte sich schließlich nicht 
ohne Verstimmung. Im August, bald nach der Heimkehr des Königs, 
befahl eine Kabinettsordre die Befestigung Königsbergs und des Städtchens 
Lötzen in der masurischen Seelandschaft; auch Memel und einige andere 
kleine Plätze an der Ostgrenze sollten Festungswerke erhalten. Der Plan 
war längst vorbereitet, denn unleugbar hatte der alte König über der Sorge 
um Deutschlands Westgrenze die Ostmarken militärisch vernachlässigt; das 
gesamte preußische Land östlich der Weichsellinie entbehrte der Festungen, 
und sobald General Boyen das Kriegsministerium übernahm, schritt er 
sofort daran, das seiner geliebten Heimat angetane Unrecht zu fühnen. 
Daß Preußen dem mächtigen polnischen Festungsdreieck der Russen einige 
Bollwerke entgegenstellte, konnte an der Newa billigerweise nicht befremden. 
In diesem Augenblicke aber erschien die Kabinettsordre wie eine Antwort 
auf den Petersburger Empfang, und man hielt das Verhältnis zwischen 
den beiden Nachbarhöfen überall für unfreundlicher, als es war. 
Auf der Heimreise verweilte der Monarch einige Tage in Königsberg. 
Er wußte, hier sei „im Volke ein Grund edelster Gesinnung und uralter 
Treue wie vielleicht in keinem anderen Lande“. Darum kam er in den 
ersten sechs Jahren seiner Regierung fünfmal nach Ostpreußen, in der aus- 
  
*) Liebermanns Bericht, 19. April 1842. 
**) Bülow an Rauch, 20. Aug. 1842.
	        
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