Der Kölner Dom. 173
romanisch-ästhetischen Gefühlen war die Begeisterung für den Kölner Dom
ursprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden sich späterhin der rhei—
nische Provinzialstolz und der katholische Glaubenseifer, die der Bischofs—
streit so mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal seit dem Kriegslärm
des Jahres 1840 auch das deutsche Nationalgefühl. Als Görres einst
im Rheinischen Merkur aussprach, dieser unfertige Riesenbau sei ein Ver—
mächtnis, das die großen alten Kaiserzeiten dem wiederbefreiten neuen
Deutschland zur Vollendung hinterlassen hätten, da hörten ihn nur
wenige. Jetzt sprach jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem viel—
umstrittenen linken Ufer wollte man den Welschen zeigen, was Kraft und
Einmut der Germanen vermöchten. Wie die halbverschollene Kyffhäuser—
sage erst in diesen Jahrzehnten durch Rückerts Gedicht neues Leben ge—
wann, so kamen jetzt altertümlich klingende Domsagen in Umlauf, von
denen sich das Mittelalter nichts hatte träumen lassen, allesamt echte
Kinder der vaterländischen Sehnsucht des jüngsten Geschlechts: der alte
Krahn auf dem Stummel des Turmes war „ein riesig Fragezeichen“,
ein Symbol der Zerrissenheit des Vaterlandes; erst wenn er dereinst ver-
schwunden war und die beiden Türme vollendet in die Lüfte ragten,
dann sollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutschlands in
Erfüllung gehen.
Und nun geschah, was einst Schenkendorf?') geweissagt:
Und gefunden ist der Meister
Und der alte Bann gelöst,
In die Herzen, in die Geister
Neue Lust zum Werk geflößt.
Der Dombaumeister Zwirner, ein Schlesier aus Schinkels Schule über-
reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau
des gesamten Domes, ein riesiges Unternehmen, daß selbst Beoisseree
früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdessen traten die Bürger
Kölns zusammen, das Werk zu fördern. Anfangs konnten sie sich nicht
einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: solange der Stuhl des
Oberhirten im hohen Chore leer stehe, dürfe man keine Hand regen. Da
trat der junge August Reichensperger ins Mittel, selbst ein strenger Kle-
rikaler, aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten
rheinischen Kunst; er mahnte seine Landsleute in einer beredten Flugschrift,
alle Späne zu vergessen und den günstigen Augenblick des Thronwechsels
zu benutzen. So ward der Widerstand überwunden und der große Dom-
bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderschaft des Mittel-
alters für den Ausbau des Gotteshauses sammeln und arbeiten sollte.
Nichts konnte dem Könige willkommener sein. Seit er einst, von Boisseree
geführt, zum ersten Male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge-
wandert war, alle diese Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung, den Wieder-
*) Vg. o. II. 45.