12 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
unüberwindlich, so wollte er das Buch zuschlagen. So sprach nicht ein
geborener Herrscher, sondern ein phantasiereicher Kopf, der sich den Ein—
drücken des Lebens mehr hingab, als sie selbst bestimmte, eine weiche Natur,
die im Vertrauen auf Gott und die Menschen allezeit hoffte, die Dinge
würden nach ihren Wünschen gehen und dann das Mißlingen nicht der
eigenen Schwäche, sondern dem unerforschlichen Ratschlusse der Vor—
sehung zuschrieb. Auf seinem Schreibtisch in Sanssouci standen neben—
einander die Statuetten der Venus von Melos, des frommen Gellert,
des Zaren Nikolaus, beredte Zeugen einer wunderbaren Empfänglichkeit,
die in Kunst und Wissenschaft, in Staat und Kirche alles Bedeutende zu
verstehen suchte, ohne irgendwo ganz heimisch zu werden.
Im Gespräche mit den Helden des deutschen Geistes zeigte er eine
so blendende Überlegenheit, daß Leopold Ranke staunend sagte: er ist
unser aller Meister. Und doch war er kein Meister, sondern nur der
größte aller jener geistreichen Dilettanten, an denen die vielgestaltige
moderne Kultur so reich ist. Auf keinem der unzähligen Gebiete des
geistigen Lebens, die sein ruheloser Geist zu umfassen strebte, zeigte er sich
wahrhaft mächtig, wahrhaft schöpferisch, am wenigsten in seinem poli-
tischen Berufe. In späteren Jahren wetterte einmal ein klagender Bauer,
der von dem Monarchen an den Staat gewiesen wurde, über diesen
„Racker von Staat“, und der König pflegte dies geflügelte Wort halb im
Scherz zu wiederholen. In seinem Munde war es leider mehr als ein
Scherzwort; die unerbittliche Regelmäßigkeit der Staatsgeschäfte widerte
ihn ebenso tief an wie die Härte der politischen Machtkämpfe, obgleich er
die Arbeiten seines königlichen Amts mit gewissenhaftem Fleiße, bis in die
tiefe Nacht hinein besorgte. Immer atmete er auf, sobald er sich aus
dieser Welt der Nüchternheit in sein eigenes reiches Ich zurückziehen konnte,
und nie war er glücklicher, als wenn er, berauschend und berauscht, die Flut
seiner Gedanken und Gefühle in begeisterter Rede ausströmen ließ. „Es
ließ mir keine Ruh', ich mußte reden,“ so sagte er dann, durchaus ehr-
lich, zu seinen Freunden.“) Nur die ihn nicht kannten, beschuldigten ihn
einer schauspielernden Berechnung, welche seinem Charakter fern lag. Sein
volles Herz auszuschütten, an der Pracht hoher Bilder, an dem Wohl-
laut der heißgeliebten, mit Meisterhand gepflegten Muttersprache sich zu
erfreuen, war ihm Bedürfnis. Die Wirkung dieser gesprochenen Selbst-
bekenntnisse stellte er dem barmherzigen Himmel anheim, ganz anders als
sein Ahnherr Friedrich, der, auch ein geborener Redner, immer zum
Zwecke sprach, jeden Satz auf den Willen der Hörer berechnend, und nie
vergaß, daß Königsworte nur, wenn sie Taten sind, in der Nachwelt fort-
leben. Jenen unbewußten Schauspielerkünsten freilich, welche jedem be-
gabten Redner nahe liegen, unterlag er oftmals; wenn er an froher
*) K. Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846 usw.