Sonntagsfeier. Rheinische Autonomen. 255
testen lärmten die jüdischen Journalisten, weil ihre Leute zwar den jüdischen
Sabbat streng einhielten, den christlichen Sonntag aber für ihre Geld—
geschäfte mit den Bauern zu benutzen pflegten. Bald erzählte man allent—
halben, der König und sein unheimlicher Helfershelfer Eichhorn wollten
die harte, dem deutschen Gemüte unerträgliche englische Sonntagsfeier
einführen. Für diese finstere Sitte hegte Friedrich Wilhelm allerdings,
weil er alles Englische überschätzte, eine theoretische Vorliebe; doch war
er keineswegs gesonnen, sie seinem Volke aufzuzwingen. Ganz leise, ohne
Verletzung alter Gewohnheiten, wollte er die Zügel etwas fester anziehen;
er verlangte nur, „daß die vorhandenen Bestimmungen in Kraft bleiben
und das Dawiderhandeln endlich einmal bestraft werden solle“.?) Selbst
diese wahrlich bescheidene Absicht konnte er, bei dem allgemeinen stillen
Widerstreben, nicht durchsetzen. Ebenso gründlich ward er mißverstanden,
als er einigen der strengeren Geistlichen Berlins auf ihren Wunsch er-
laubte, ihre verwilderten Gemeindemitglieder im Hause zu besuchen, und
dann den Plan faßte, eigene Hilfsgeistliche für diese ganz verabsäumten
Pflichten der Seelsorge anzustellen. Da hieß es sofort, eine Sittenpolizei
mit geheimen Angebern solle eingeführt werden, und diese Gerüchte wirkten
so aufregend, daß der Prinz von Preußen selbst das Ministerium auf-
forderte, ihnen öffentlich zu widersprechen.“)
Wie konnte bei solcher Stimmung des Volks das neue Adelsgesetz
gelingen, an dem der König sieben Jahre hindurch in der Stille beständig
arbeiten ließ? Der Adel war der einzige der alten Geburtsstände, der
sich in einer demokratisierten Gesellschaft unter lauter Berufsständen noch
erhalten hatte, und gehörte doch zugleich selbst diesen neuen Berufsklassen,
den höchsten wie den niedersten an; darum erschien er den neuen besitzen-
den Klassen wie eine fremdartige, feindselige Macht oder auch wie eine
Lächerlichkeit, und nichts konnte die öffentliche Meinung stärker beleidigen
als eine Begünstigung adliger Standesrechte. Das mußte noch der alte
König erfahren, als er (16. Jan. 1836) den Häuptern der alten rhei-
nischen Reichsritterschaft, nachher auch noch den Häuptern einiger west-
fälischen Geschlechter, das Recht erteilte, nach dem Brauche früherer
Zeit wieder durch autonomische Bestimmungen über ihren Nachlaß zu
verfügen. Diese Kabinettsordre, die man nicht einmal in der Gesetzsamm-
lung abzudrucken wagte, war durch wiederholte Bitten der rheinischen Ritter-
schaft veranlaßt“*) und bezweckte nur die alten Geschlechter im Besitze
ihrer Stammgüter zu erhalten; sie kränkte keinen anderen Stand in
seinen Rechten, da sie ja nur den jüngeren Söhnen des Adels selbst ihre
Erbansprüche verkümmerte. Doch sie widersprach dem gemeinen Rechte,
und wider jede soziale Ungleichheit, wider jede Gebundenheit des Grund-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Nov. 1844.
*#) Prinz von Preußen an Thile, 29. April, Antwort 1. Mai 1843.
##) Eingaben rheinischer Ritter (Frhr. v. Mirbach u. Gen.) 1833 ff.