292 V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
gar wenig wußten, für einen Hermesianer; in Wahrheit hatte er diese
Schule stets bekämpft; dagegen hoffte er auf die Rückkehr aller Sekten
zu der gereinigten katholischen Kirche, und dies Ideal des allgemeinen
Christentums verstand er so ganz im Sinne der inneren Wiedergeburt,
der Metanoia, daß er früher oder später noch weit über die Hermesianer
hinausgehen und zur Erkenntnis der evangelischen Wahrheit gelangen
mußte.
So stand er vereinsamt. Nach seiner ganzen Anlage konnte er die
Kraft seines Willens nur in der tiefen Gewissenhaftigkeit des religiösen
Empfindens und Forschens, nicht in den Kämpfen des handelnden Lebens
betätigen; niemand merkte ihm an, daß er wirklich ein Bruder des
durch seine brutale Strenge in aller Welt berüchtigten Wiener Polizeipräsi—
denten war. Nach ernster Selbstprüfung erwiderte er dem Papste, daß
er bereit sei, das Amt niederzulegen, das er einst wider seinen Wunsch
erhalten hatte. Dann ging er nach Berlin und beschwor den König um
Genehmigung des Verzichtes: er könne nicht anders; bei der ultramontanen
Gesinnung und der Eitelkeit eines großen Teiles seines Klerus dürfe
er nicht mehr auf eine heilsame Wirksamkeit hoffen; auch wolle er nicht
durch sein Verbleiben den Frieden zwischen Staat und Kirche erschweren.“)
Friedrich Wilhelm zeigte sich sehr aufgebracht über die eigenmächtige Will-
kür der Kurie. Doch wie konnte der Weiche den Weichen stützen? Er
widerstrebte noch mehrere Tage lang; dann genehmigte er die Abdankung
des Prälaten, dem nichts zur Last fiel als die treue Befolgung der alten
Staatsgesetze, und ernannte den Grafen, mit dem Ausdruck wärmster
Anerkennung, zu seinem Wirklichen Geheimen Rate (29. Juli). Dazu
versicherte er mündlich, nur aus Pietät gegen seinen Vater bewillige er
den Rücktritt; so wunderbar verstand er die Dinge immer anders zu
sehen als andere Menschen.
In einem rührenden Abschiedsschreiben an das Domkapitel sprach
der Entlassene aus: er denke immer innig vereint zu bleiben mit allen
denen, die an Christum wahrhaft glauben. Ein christliches Wort, aber
sicherlich kein römisches. Männern von solcher Gesinnung bot die alte
Kirche keine Stätte des Wirkens mehr. Das hatte schon Wessenberg
erfahren, der denn auch nicht säumte, aus seinem Altensitze Konstanz
dem Schicksalsgenossen seinen Gruß zu senden. Und noch stiller sogar
als Wessenberg einst schied Sedlnitzky aus dem bischöflichen Amte. Fort-
an lebte er in Berlin ganz der Mildtätigkeit und dem religiösen Nach-
denken; die Predigten von Nitzsch, Stahn, Müllensiefen erschütterten ihn
in den Tiefen der Seele; er fühlte, wo er das Wesen des Christentums
zu suchen habe, und bald mochte er das Bischofskleid nicht mehr tragen.
Als er endlich hochbejahrt den notwendigen Schluß aus seinen inneren
*) Sedlnitzky an König Friedrich Wilhelm, 14. Juli 1840.