Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Das Religions-Patent. 359 
zösischen Sinne, wohl aber der Erklärung einer legitimen Ehe vor dem 
Richter.“ Eifrig kam er auf diese Idee einer „Quasi-Zivilehe“ zurück, nur 
sollte sie mit den Institutionen des „revolutionären Frankreichs“ schlech— 
terdings nichts gemein haben.*) Bald zeigte sich aber, daß er über solche 
Dinge weit freier dachte als die Mehrzahl seiner Räte; darum beschloß 
er, die große Prinzipienfrage der bürgerlichen Eheschließung vorläufig 
ruhen zu lassen und zunächst nur für die Trauungen der Dissidenten 
mildere Vorschriften zu geben. Auch dabei stieß er auf lebhaften Wider- 
spruch. Mehrere der Minister fanden die Pläne des Monarchen von 
Haus aus viel zu weitherzig; Hofprediger Snethlage, ein gläubiger, keines- 
wegs fanatischer Westfale, der sich bald des Königs persönliches Ver- 
trauen gewann, verlangte zum mindesten, daß die bürgerliche Eheschließung 
der kirchlichen Einsegnung der Dissidenten immer vorangehen müßte, 
damit der christliche Staat nicht in die Lage käme, die Zeremonien der 
Sektierer mittelbar anzuerkennen. 
Nach sehr weitläufigen Verhandlungen einigte man sich dahin, daß 
die Brautleute der geduldeten Sekten zunächst gerichtlich aufgeboten, dann 
nach dem Brauche ihrer Sekte eingesegnet werden und schließlich durch die 
Eintragung in die Register der Gerichte die bürgerliche Anerkennung ihrer 
Ehe erlangen sollten. *“) Im übrigen schloß sich der von Eichhorn vorge- 
legte Entwurf des Religionspatentes eng an die Vorschriften des Allge- 
meinen Landrechts an..““) Gleichwohl erschien er manchen Orthodoxen 
wie eine gefährliche Neuerung. Präsident Gerlach widersprach im Staats- 
rate entschieden — denn „man darf nicht alles, was sich Kirche und Trau- 
ung nennt, auch als solche unbesehens gelten lassen“ — und beschwor noch 
im letzten Augenblicke seinen königlichen Freund flehentlich, dies unselige, 
die Abtrünnigkeit fördernde Gesetz nicht zu veröffentlichen.X) Der König 
blieb standhaft. Am 30. März 1847 wurde das Patent über die Bildung 
neuer Religionsgesellschaften unterzeichnet, das allen Ausgetretenen den 
Genuß der bürgerlichen Rechte und Ehren zusicherte, sobald ihre neue 
Religionsgemeinschaft vom Staate genehmigt würde. Solche Sekten, welche 
sich mit einer der beiden großen Religionsparteien des Westfälischen 
Friedens „in wesentlicher ÜUbereinstimmung befänden“, sollten, gleich den 
Altlutheranern, befugt sein, ihre Amtshandlungen mit voller rechtlicher 
Wirkung vorzunehmen; andere Sekten wurden nur geduldet und mußten 
sich den neuen Vorschriften über die Quasi-Zivilehe unterwerfen. 
*) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 16. Jan., 10. 12. Febr. 1847. 
er) Thiles Bericht, 15. Juli 1845. König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Dez.; 
Protokoll der Ministerkonferenz, 13. Dez.; Snethlage an Thile, 14. 16. Dez.; Thiles 
Antwort, 16. Dez. 1846. 
###) Eichhorn, Motive und Denkschrift zum Religionspatente, 15. Juli, 14. Dez. 1845. 
)Ludwig v. Gerlach an König Friedrich Wilhelm, 14. Dez. 1846, 23. Febr., 
30. März 1847. Ministerialprotokoll, 20. Dez. 1846. 
 
	        
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