434 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
in eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die oft schwerer empfunden wurde,
als vormals die patriarchalische Unfreiheit der alten Gesellschaft, und bald
von tobenden Anarchisten, bald von menschenfreundlichen Denkern wurde
der Staat gemahnt, daß er mit seiner zwingenden Gerechtigkeit die
Schwachen gegen die Starken beschützen müsse.
Die riesigen Kapitalansammlungen, die völlig neuen wirtschaftlichen
Mächte, die in diesem Zeitalter der Erfindungen jählings aufschossen,
stellten an den Staat Anforderungen, von denen die Gesetzgeber der
großen Reformzeit nichts geahnt hatten. Die alte Losung hieß: freie
Selbsttätigkeit; jetzt erhob sich der Ruf nach erweiterter Wirksamkeit der
Staatsgewalt. Beuth, Hoffmann, Kühne, alle die alten wohlverdienten
Beamten, die einst dem Staatskanzler Hardenberg zur Hand gegangen
waren, fühlten sich jetzt wie in einer fremden Welt, da ihnen fast alles
bezweifelt und bestritten wurde, was sie für den idealen Inhalt ihres
Lebens ansahen. Der König aber, der sich über die Umwälzung der
wirtschaftlichen Verhältnisse keineswegs täuschte und in seinem weichen
Herzen die Leiden der arbeitenden Klassen lebhaft mitempfand, besaß doch
weder die Willenskraft noch die Sachkenntnis, um den Ansprüchen der
verwandelten Zeit gerecht zu werden. So geschah es, daß in diesen Jahren
der allgemeinen Enttäuschung auch die preußisch-deutsche Wirtschafts-
politik, die in den beiden letzten Jahrzehnten des alten Königs stolz von
Sieg zu Sieg vorgeschritten war, ihre feste Haltung verlor und, obgleich sie
die großen Errungenschaften der vorigen Regierung nicht preisgab, doch
aus Wirren und Kämpfen, aus Versuchen, Mißgriffen und Plänen selten
herauskam.
Die Fortdauer des Zollvereins war schon zur Zeit des Thronwechsels
so gut wie gesichert, nachdem Kühne die Bedenken der sparsam rechnenden
Finanzpartei widerlegt und der neue König noch als Kronprinz dieser
Widerlegung freudig zugestimmt hatte.) Nun beseitigte Eichhorn, kurz
bevor er sein altes Amt verließ, noch die letzten Einwendungen und nahm
also einen würdigen Abschied von dem Vereine, dem er die besten Jahre
seines Lebens gewidmet hatte. Am 8. Mai 1841 wurden die Zollvereins-
verträge, mit unwesentlichen Anderungen, für zwölf Jahre erneuert, und
alle die verbündeten kleinen Höfe sprachen lebhaft ihre Befriedigung aus.
Keinem von ihnen war je der Wunsch aufgestiegen, den geschlossenen Bund
zu lösen; die gute Sache hatte überall den guten Geist bündischer Ein-
tracht erweckt, die Zollverwaltung zeigte sich in allen Vereinsstaaten gleich
zuverlässig. Die wirtschaftlichen Segnungen des Zollvereins konnte nie-
mand mehr verkennen. Rasch wie eine australische Ansiedlung blühte
auf der öden RNheinschanze Mannheim gegenüber die junge Fabrilstadt
Ludwigshafen empor, und die vormals so stillen Täler Westfalens
*) S. o. IV. 578.