498 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
Unternehmen unmöglich aufzubringen. Jetzt blieb nichts übrig als ein
verzweifelter Entschluß; nach so vielen Verheißungen und Vorarbeiten
konnte die Krone nicht mehr zurück. Am 16. März 1847 beschloß das
Staatsministerium: der Staat müsse nunmehr selber die Ostbahn bauen
und von dem demnächst zusammentretenden Vereinigten Landtage sogleich
eine große Anleihe verlangen. Der König genehmigte den Antrag; er
ahnte nicht, wie seltsam das Schicksal seiner Ostbahn sich noch mit dem
Verfassungskampfe verschlingen sollte.)
Derweil Preußens Handelspolitik also beständig durch staatsrecht-
liche Bedenken gehemmt wurde, brauchten die kleineren Bundesstaaten, dank
ihren Verfassungen, solche Schwierigkeiten nicht zu überwinden. Sie er-
freuten sich zudem blühender Finanzen, denn für die Verteidigung des
Vaterlandes hatten sie allesamt Preußen allein sorgen lassen, Baden
verwendete nur ein Fünftel seiner Staatsausgaben auf das Heerwesen.
Darum konnten sie früher als Preußen den Staatseisenbahnbau wagen;
die meisten von ihnen sahen sich sogar dazu gezwungen, weil das Privat-
kapital in Süddeutschland und in Hannover weniger Unternehmungslust
zeigte als in Preußen oder Sachsen. Nur Braunschweig und Baden er-
kannten von Haus aus grundsätzlich die Vorzüge des Staatsbahnwesens.
In Braunschweig spürte man überall die starke Hand Amsbergs, der in
diesen Geschäften alle anderen deutschen Staatsmänner überragte. In Baden
hatte Nebenius den Staatsbau durchgesetzt; die Ausführung entsprach
jedoch dem frei gedachten Plane wenig. Obgleich dies Land seine handels-
politische Bedeutung wesentlich dem Durchfuhrhandel verdankte, so drängten
sich doch bald die kleinen örtlichen Interessen anspruchsvoll vor, und man
gab den Schienen sogar eine von dem deutschen Normalmaße abweichende
Spurweite, damit ja kein fremder Eisenbahnwagen in das Ländle hin-
über käme. Die Schwäche des Staatseisenbahnsystems, die Parteilichkeit
zeigte sich hier, in dem so lange durch politische Kämpfe zerrütteten kon-
stitutionellen Musterstaate sehr häßlich. Lassen Sie sich Ihre Bahn durch
Ihren liberalen Abgeordneten bauen! — so antwortete Blittersdorff den
klagenden Gemeinderäten der verkehrsreichen Fabrikstadt Lahr, die seitab
von der Staatsbahn liegen blieb. Die mit dem Großherzogtum Hessen
verabredete Main-Neckar-Bahn wurde nicht geradeswegs an den dichtbe-
völkerten Ortschaften der oberen Bergstraße vorbei nach Heidelberg geführt,
aber auch nicht westwärts nach Mannheim, denn beide Städte standen
in Ungnade wegen ihrer liberalen Gesinnung; man gründete vielmehr
mitten zwischen beiden Orten in der sandigen Rheinebene den lächerlichen
Knotenpunkt Friedrichsfelde. In Württemberg begann die Regierung seit
1841 den Staatsbau, weil sie umgangen zu werden fürchtete und das
*) Berichte an den König, von Rother 3. Jan. 1845, vom Staatsministerium
16. März 1847.