Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

46 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. 
Herrscher „eine der wichtigsten und teuersten Pflichten des königlichen 
Berufes“. 
Bitte des Landtags war also abgeschlagen, der König stellte 
nicht einmal für die Zukunft irgend etwas Bestimmtes in Aussicht, da. 
es ihm gegen die Ehre ging, sich von vorwitzigen Untertanen treiben 
zu lassen. Darum fühlte sich auch Zar Nikolaus sichtlich erleichtert; 
er dankte seinem Schwager, weil die dornige Verfassungsfrage „ein= für 
allemal“ abgetan sei.) Die Abweisung erfolgte jedoch in so gnädigem 
Tone, und Schön wußte seinen Landsleuten von den freisinnigen Ab- 
sichten des Monarchen so viel Herrliches zu erzählen, daß die Stände 
# in der Tat glaubten, der Landtagsabschied enthalte, weil er doch von der 
Entwicklung des Bestehenden spreche, mindestens eine halbe Gewährung. 
Sie begrüßten die Verlesung des Aktenstückes mit freudigen Hochrufen. 
So ward der Grund gelegt für ein verhängnisvolles wechselseitiges Miß- 
verständnis. Wer hätte auch jetzt, da der Jubel des beginnenden Hul- 
digungsfestes alles übertäubte, noch die Stimmung gewonnen zu ruhigem 
Nachdenken? Ohnehin konnte sich der Landtag keineswegs auf eine feste 
durchgebildete Volksüberzeugung stützen. Da Parteien noch nicht bestanden, 
so mochten sich manche der Landstände bei dem Beschlusse wenig gedacht 
haben, nur die Führer der Mehrheit waren sich ihres Zweckes bewußt. 
Aber auch die fünf Stimmen der Minderheit des Landtags besaßen in 
der Provinz einen starken Anhang. Siebenundzwanzig der zur Huldi- 
gung einberufenen adligen Grundbesitzer traten noch am 8. Sept., ge- 
führt von dem Grafen Dohna-Schlobitten zusammen, um gegen die Denk- 
schrift des Landtags Verwahrung einzulegen: sie seien, so versicherten sie 
dem Könige, mit den bestehenden Provinzialständen vollauf zufrieden und 
wünschten keine Neuerung. 
Im Volke fragte noch niemand nach diesen politischen Gegensätzen, 
alles dachte nur an den königlichen Gast und wie man ihn verherrlichen 
sollte. Am Abend des 9. Sept. gab die Provinz dem Monarchen ein 
prachtvolles Fest; in lebenden Bildern traten die großen Gestalten der 
reichen Landesgeschichte auf; Männer aller Stände und aller Richtungen 
wirkten einträchtig zusammen; der liberale Theolog Cäsar v. Lengerke 
hatte die begleitenden Verse gedichtet, die der junge Jurist Eduard Simson 
mit klangvoller Stimme vortrug. Am folgenden Tage versammelten sich 
die Deputierten der Provinzen Preußen und Posen zur Huldigung; mehr 
denn zwanzigtausend Menschen standen in dem weiten Hofe und an den 
Fenstern des Schlosses zusammengedrängt; der königliche Thron prangte 
auf einem Altane, von dem eine mächtige Freitreppe in den Hof hinab- 
führte. Der Kanzler und der Landtagsmarschall des Königreichs Preu- 
ßen hielten ihre Ansprachen in der herkömmlichen Weise; nur der 
  
*) Liebermanns Bericht, 29. Sept. 1840.
	        
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