Polnische Klagen. Auswärtige Politik. 637
Ein solcher Landtag, so zahlreich, so stark an Talenten, so tief bewegt von
den Ideen einer unruhigen Zeit, mußte geradezu übergreifen, er mußte
alles, was des Vaterlandes Wohl und Wehe berührte, zu besprechen suchen.
Nach dem Patente sollte er sich nur mit inneren Angelegenheiten befassen;
die Einverleibung Krakaus aber und die langjährige Unterbrechung des
Handelsverkehres mit dem revolutionären Spanien hatten in mehreren
Provinzen, zumal in Schlesien, Handel und Wandel schwer geschädigt, und
wie konnte man diese Landesbeschwerden erörtern, ohne die europätische
Politik zu berühren? Minister Canitz erkannte das selbst und versicherte
den Ständen, eine taktvolle Besprechung der auswärtigen Angelegenheiten
solle ihnen nicht verboten werden. Wie wenig ahnte er die Wirkung seiner
leichthin gesprochenen Worte! Alles jubelte; man nahm an, die Krone
wolle den Ständen freiwillig ein neues Recht gewähren. Auch der Mar-
schall der Kurie der drei Stände, Rochow-Stülpe teilte diese Meinung. Er
hatte vor kurzem noch in der Verfassungskommission alle reichsständischen
Pläne des Königs hartnäckig bekämpft, er war nachher gleichwohl zum
Landtagsmarschall ernannt worden und bemühte sich mit großer Selbst-
verleugnung, sein schwieriges Amt unparteiisch zu handhaben. Jetzt er-
klärte er einfach: bisher hätte er alle Petitionen über auswärtige Politik
als unstatthaft zurückgewiesen, nunmehr würde er sie zulassen.
Darüber gerieten nun der Hof und das gesamte konservative Lager
in begreifliche Aufregung. Der Prinz von Preußen bestürmte seinen könig-
lichen Bruder mit ernsten Vorstel lungen. Ohnehin kein Freund des sarka-
stischen Canitz, lebte er ganz in den Gedanken preußischer Großmachts-
politikl; und wohin trieb man, wenn dieser Landtag, der nur zu beraten
hatte, also keinerlei Verantwortlichkeit trug, die europäische Politik der
Krone jederzeit durch leichtfertige Petitionen stören durfte? Der alte Welfe,
der dem preußischen Minister als einem Gegner des hannoverschen Staats-
streichs noch von seiner Gesandtschaftszeit her grollte, schrieb hämisch:
„Habe mich nicht geirrt auf Dummheit des Canitz.“*) Am Berliner Hofe
sagte man laut: Canitz verdiene an demselben Stricke gehenkt zu werden, den
er sich selber durch seine Rede gedreht hätte. König Friedrich Wilhelm
wollte diesen Minister, der ihm besonders wert war, nicht fallen lassen; er
fühlte auch, daß man dem Landtage die auswärtige Politik nicht gänzlich
verschließen konnte. Aber solange er selbst in königlicher Weisheit noch
nichts geändert hatte, sollten ihm die Stände keinen Schritt weit über
die gewährten Rechte hinausgehen. Darum nannte er (20. Mai) die Rede
des Landtagsmarschalls „funest“ und sagte: „Das ist gegen mein Gesetz
vom 3. Febr. und muß coute que coute repariert werden.““*) Nach
einem großen Ministerrate sah sich Canitz genötigt, vor dem Landtage
*) Knyphausens Bericht, 22. Mai 1847, mit Randbemerkung König Ennst
Augusts.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 20. Mai 1847.