Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

700 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
nach dem Vorbilde des Zollvereins abschließen, Verträge, welche späterhin 
dem gesamten Vaterlande zu gute kommen müßten. Also schien der 
König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheits- 
wünsche jetzt die erste Pflicht konservativer Politik war; er schien sich 
den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur selben Zeit Mathy in Hep- 
penheim aussprach. Aber es schien auch nur so. Friedrich Wilhelm wußte 
nichts, er wollte nichts wissen von der radikalen Schärfe der großen 
Gegensätze deutscher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit OÖster- 
reich zu brechen, sein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein 
dem partikularistischen Grundgedanken der Bundesakte ebenso vollständig 
widersprach, wie einst der Schmalkaldener Bund dem Wesen des heiligen 
römischen Reichs, und die Hofburg folglich ein System preußisch-deutscher 
Sonderverträge unmöglich gelassen hinnehmen konnte. Die Schlacht von 
Pharsalus, die einst König Friedrich den Deutschen geweissagt hatte, mußte 
geschlagen werden, und niemand glaubte an diese Notwendigkeit weniger 
als Friedrichs Erbe. 
Mit solchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit 
der gewohnten nichtssagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen wurden 
die Verhandlungen schon abgebrochen, da die italienischen Unruhen die 
Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgesagter Feind der frideriziani- 
schen Politik verabscheute Friedrich Wilhelm den „heidnischen“ Grundsatz 
des großen Königs, daß man die Bedrängnis des Gegners zum entscheiden- 
den Schlage benutzen müsse; auch hielt er das Haus Osterreich nicht für 
einen Gegner, sondern für einen treuen, nur leider etwas schwerfälligen 
Freund. Metternichs peinliche Lage zu mißbrauchen, schien ihm unchrist- 
lich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, sich mit dem Staatskanzler 
über die gemeinsame Bekämpfung des schweizerischen Radikalismus zu 
verständigen; und diesen unseligen Interventionsgedanken hielten beide 
Mächte für so wichtig, daß die deutsche Politik dahinter zurückstehen mußte. 
Um die Schweizer Frage zuerst ins reine zu bringen, mußte der General 
im Dezember nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reisen. 
So ging für die deutsche Bundesreform wieder eine unschätzbare Zeit 
verloren. Erst im Februar 1848 nahm der König seine Bundespläne 
wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weisung, nochmals nach 
Wien zu gehen und dort die sofortige Einberufung eines deutschen Fürsten- 
kongresses zu beantragen, der über die Bundesreform so wie über die 
Kriegsgefahr des Augenblicks beraten sollte. Da inzwischen die Nach- 
richten von der Pariser Revolution eingetroffen waren, so genehmigte 
Metternich am 10. März den preußischen Vorschlag. Aber schon nach 
wenigen Tagen stürzte das alte System in Wien wie in Berlin zusammen. 
Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war versäumt, und 
da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieses Winters kein 
Wort erfahren hatte, so erschien der längst geplante Fürstenkongreß wieder
	        
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