Englische Welteroberung. 63
hin die Macht des Unheils, überall, sogar im Mittelmeer und im Oriente,
wo die Interessen der beiden Mächte sich doch keineswegs feindlich be—
rührten. Daß Rußland und Frankreich sich über irgend eine europäische
Frage ehrlich verständigen könnten, schien vorderhand rein unmöglich; das
unter seiner schwachen Greisenherrschaft mehr und mehr erstarrende Oster—
reich tat auch gar nichts, die beiden Feinde zu versöhnen.
Also herrschte auf dem Festlande wieder jener Zustand schleichenden
Unfriedens, dessen England für seine Pläne bedurfte, und niemals hat
sich die alte Wahrheit, daß Kaufmannspolitik die unsittlichste von allen
ist, so grell gezeigt wie in diesen Jahren. Unbehelligt durch die hadern—
den Großmächte durfte Palmerston, nach seiner unritterlichen Weise, den
britischen übermut an den Schwachen auslassen. Mit Neapel begann
er Streit wegen des sizilianischen Schwefelhandels, mit Portugal wegen
der Opfer des letzten Bürgerkrieges, eines Krieges, welchen England selbst
geflissentlich geschürt hatte. Mit Serbien schloß er einen Handelsvertrag
und versuchte zugleich den Fürsten Milosch zur Aufhebung der Verfassung
zu drängen. Mitten im Frieden wurde 1839 das Felsennest Aden geraubt,
der Schlüssel zum Roten Meere, das Gibraltar des Ostens. Gleich
darauf begann der Opiumkrieg, der scheußlichste von allen, welche jemals
ein christliches Volk geführt hat; die Chinesen wurden gezwungen, den
Opium-Schmuggel aus Ostindien zu dulden, und während England ihre
Leiber vergiftete, suchte es ihre Seelen durch die Bekehrungspredigten
seiner Missionäre zu retten. An stärkere Gegner wagte sich Palmerston nur
mit den Waffen der Arglist. Jedermann ahnte, daß das neutrale England
die Tscherkessen in ihrem Kampfe gegen Rußland insgeheim unterstützte;
ruchbar ward das Geheimnis erst, als die Russen an der kankasischen
Küste das mit Waffen befrachtete Schiff Vixen aufgriffen. Noch schwe-
rere Sorgen erregte dem Londoner Hofe die Besetzung Algeriens, das
letzte und beste Vermächtnis der französischen Bourbonen. Nach engli-
scher Auffassung gehörte ganz Afrika von Rechts wegen den Briten. Selbst
der friedfertige Lord Aberdeen sagte zu dem preußischen Gesandten höh-
nisch: die Franzosen haben Algier „für immer“ mit Frankreich vereinigt;
dies „für immer“ bedeutet: bis der Krieg erklärt wird, bis das erste
englische Linienschiff im Hafen von Algier erscheint! Dieses schöne zu-
kunftsreiche Pflanzungsland der Franzosen zu zerstören, war jedes Briten
Herzenswunsch; darum konnte Frankreichs gefährlicher Feind, der helden-
kühne Abdelkader jederzeit auf Englands geheimen Beistand zählen.
Gegenüber einer solchen, völlig gewissenlosen, überall in der Welt
hetzenden und bohrenden Handelspolitik erschienen alle anderen Kultur-
völker als natürliche Bundesgenossen. England war der Hort der Bar-
barei im Völkerrechte. England allein verschuldete, daß der Seekrieg, zur
Schande der Menschheit, noch immer ein organisierter Seeraub blieb.
Allen Völkern gemeinsam lag die Aufgabe ob, auch auf den Meeren das