Der Sonderbund. 727
Wilhelm ließ sich durch die legitimistische Seelenangst der befreundeten
Höfe dermaßen betören, daß er gar nicht mehr bemerkte, wie nahe seine
eigenen deutschen Bundesreformpläne sich mit den allerdings derberen
Gedanken der schweizerischen Radikalen berührten.
Zu allem Unheil ward der politische Parteikampf noch vergiftet durch
die konfessionelle Feindschaft, die hier, in dem Lande althistorischer Parität,
nur Verderben stiften konnte. Da der klerikalen Partei seit dem Kölnischen
Bischofsstreite überall in der Welt die Schwingen gewachsen waren, so
wagten die katholischen Freiämter des überwiegend protestantischen Kantons
Aargau einen Aufruhr. Der Aufstand mißlang, und zur Strafe wurden
die mit den Rebellen eng verbündeten Mannsklöster des Kantons ge—
schlossen. Damit verletzten die Radikalen zuerst die Bundesverfassung,
welche den Bestand der Klöster ausdrücklich gewährleistete. Der ganz von
der klerikalen Demokratie beherrschte Kanton Luzern antwortete alsbald
durch eine mutwillige Herausforderung: er berief die Jesuiten, die aller—
dings schon in Freiburg und anderen Kantonen angesiedelt; aber in der pro-
testantischen Schweiz unbeschreiblich verhaßt waren. Diese Tat gab das
Signal zum Bürgerkriege, obgleich sie dem Buchstaben der Bundesverfassung
nicht widersprach. Während der nächsten Jahre begann sich die Eidgenossen-
schaft in zwei Feldlager zu scheiden. In Genf, in der Waadt, in Bern, in
Solothurn, in Zürich gelangte die radikale Partei zur Herrschaft, während in
Wallis, die Klerikalen mit Luzerns Beihilfe einen blutigen Sieg errangen.
Von den benachbarten radikalen Kantonen unterstützt versuchte die unzu-
friedene Luzerner Minderheit durch zwei Freischarenzüge das Priester-
regiment zu stürzen (1844/45), und nachher wurde der Führer der Luzerner
klerikalen Volkspartei, der Bauer Leu durch einen gedungenen Mörder
umgebracht. Den zweiten dieser Freischarenzüge führte Anwalt Ochsen-
bein von Bern, ein radikaler vom rohesten Schlage, der sich allem An-
schein nach in das Treiben der demagogischen Flüchtlinge sehr tief ein-
gelassen hatte. Er entblödete sich nicht, in einer Druckschrift den Bundes-
friedensbruch zu verherrlichen als „eine so großartige Erscheinung, wie
sich einer ähnlichen keine andere Nation rühmen könne“; er sah in allen
diesen Bürgerkämpfen nur den ewigen „Widerstreit zwischen dem geschicht-
lichen und dem Vernunftrecht, den Kampf zwischen geistiger Knechtschaft
und freiem geistigem Aufschwung.“ Ochsenbein wurde von dem eid-
genössischen Generalstabe, dem er als Hauptmann angehörte, verdienter-
maßen aus den Listen gestrichen, doch gleich darauf (1846) war er erwählter
Stadtschultheiß von Bern und als solcher Vorsitzender der Eidgenossenschaft,
da Bern für die nächsten zwei Jahre Vorort der Schweiz wurde.
Unterdessen hatten die sieben katholischen Kantone der inneren Schweiz
einen Sonderbund geschlossen, angeblich nur zum Schutze der Bundes-
verfassung und der Kantonalsouveränität. In Wahrheit widersprach der
Sonderbund dem Bundesrechte, das alle der Eidgenossenschaft oder ein-